Ohne den Glauben ist alles nichts

Kunst

Starfotograf David LaChapelle erzählt in seiner Ausstellung in Mailand in fantastischen Bildern von dem, was ihn antreibt, irritiert und trägt: dem Glauben an Gott.

Sein Selbstporträt ist ein Haus. Darin wohnen die destruktiven Triebe, gegen die er ankämpft, darunter die ineinander verkeilten, miteinander ringenden Persönlichkeiten, die seinen Charakter ausmachen, daneben die Taube mit einem gebrochenen Flügel, die dennoch immer wieder neu zum Fliegen ansetzt auf der Suche nach dem inneren Frieden. Die Kindheit ist im Estrich verräumt.

Der Fotograf David LaChapelle erklärt die einzelnen Zimmer wortreich in den Bildlegenden, die im Museo delle Culture in Mailand neben seinen Werken angebracht sind. Für einen Innenraum aber reichen ihm zwei Worte. Beim Türschild «In Faith» steht bloss: «I rest». 

Die zwei Welten vom Marc Chagall

Noch bis Ende Juli zeigt das Mudec in Mailand die Ausstellung «Una storia di due mondi» mit Bildern von Marc Chagall und dem faszinierenden Skizzentagebuch seiner Frau Bella Rosenfeld. Die Werke gehören zur Sammlung des Israel Museum in Jerusalem und zeugen von Chagalls Auseinandersetzung mit dem Judentum. Zudem stehen sie für die Welten, die das Werk des Künstlers, der die Fenster im Zürcher Fraumünster gestaltete, prägten: Russland und Frankreich.

Eine dunkle Grundierung erhalten in der klug kuratierten Ausstellung die schwebenden Liebespaare, die viele Bilder Chagalls bevölkern. Sie erzählen nicht von der Schwerelosigkeit des Verliebtseins. Vielmehr verweisen sie auf die prekäre Existenz der russischen Juden als «Luftmenschen», wie es im Jiddischen heisst: Ihnen hat der Staat jeglichen Landbesitz verboten.

Das Selbstporträt steht exemplarisch für die Ausstellung des Starfotografen. Sein Werk ist intim und anschlussfähig zugleich. Schliesslich hat jeder Mensch seine Salons, deren Türen er gern öffnet, seine Abstellkammern, kreativen, mit Erinnerungen vollgestellten Ateliers und Kellerräume, die er lieber verschlossen lässt. Bezeichnend für LaChapelle ist die zentrale Rolle, die der Glaube spielt. Ohne ihn gibt es bei ihm schlicht keine Kunst.

Zu Beginn seiner Ausstellung beschreibt der Künstler, wie er als junger Fotograf nach New York kam. Er fand die grosse Liebe, verlor den Freund aber nach nur drei Jahren an Aids. Viele Freunde starben in jener Zeit. Er habe sich verloren gefühlt. Er fragte Gott, warum er dieses Sterben zulässt, und beschäftigte sich intensiv mit der Frage, wo die Seele bleibt nach dem Tod.

Von den Wunden zu den Wundern

Künstlerisch verarbeitete David LaChapelle seine Suche, indem er ein Verfahren entwickelte, mit dem er den fotografierten Negativen von Hand seine Glaubensgeschichten einschrieb. Aus den porträtierten Freunden, Liebhabern und Tänzern wurden Engel, Heilige, Märtyrer.

In der Dunkelkammer gelang der Weg von den Wunden zu den Wundern. «Ich spürte, dass ich von etwas geleitet wurde, was über mich hinausging», schreibt LaChapelle in seiner Ausstellung. Damals wuchs in ihm die Überzeugung, dass der Glaube an Gott «absolut notwendig» sei, um «mein Leben und meine Arbeit fortsetzen» zu können.

Sintflut und Erleuchtung

Neben der Beschäftigung mit dem persönlichen Glauben aktualisiert LaChapelle biblische Motive. In der Serie «Jesus Is My Homeboy» bricht Jesus das Brot beim Hip-Hop-Abendmahl, die «Salbung durch eine Sünderin» (Lk 7,36–50) findet in der Intimität der engen Küche statt.

Intensiv beschäftigt hat sich der Fotograf auch mit der Sintflut. Für LaChapelle ist das Wasser, das alles verschluckt, nicht die ultimative Katastrophe, sondern «eine grossartige Metapher dafür, dass, wer alles Materielle, seine Gesundheit, seinen Körper verliert, auf dem Sterbebett eine letzte Chance auf Erleuchtung erhält». Damit ist er nahe beim biblischen Buch der Offenbarung, das die Apokalypse nicht nur als Weltuntergang erzählt, sondern auch als Hoffnung auf das Anbrechen einer neuen, göttlichen Welt.

LaChapelle verortet sich in der Popwelt, die ihn zum Starfotografen gemacht hat. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich, wie durch die grelle Ästhetik die figurative Ordnung der Klassiker religiöser Kunst schimmert. Die nackten Körper auf den Sintflut-Bildern haben nichts Pornografisches, erinnern sie doch an Fresken in Kathedralen und Figuren an Kirchenportalen.

Die Fotografie von Courtney Love, die ihre Liebe Kurt Cubain, den viel zu früh verstorbenen Sänger von Nirvana, in den Armen hält, zitiert die Pietà von Michelangelo. An die Stelle der Stigmata treten die Einstiche der berauschend tödlichen Spritzen.

Ohne kokette Distanzierung

LaChapelle befasst sich auf einem Niveau und mit einer Konsequenz mit Religion, wie sie in der kommerziellen Kunst selten zu finden ist. Da ist kein Zynismus, keine kokette Distanz zum Glauben. Vielmehr lebt die fantastische Fotoausstellung von einer nach aussen gekehrten Innerlichkeit, in der oft ein feiner Humor aufblitzt.

David LaChapelle: I Believe in Miracles. Bis 11. September, Mudec, Mailand