Was ist Ihr liebster Jesus-Roman?
Andreas Mauz: «Der gute Herr Jesus und der Schurke Christus» von Philip Pullman. Was theologisch zusammengehalten werden muss, wird hier in eine Zwillingsgeschichte gepackt: Jesus und Christus. Jesus ist der einfache Prediger und ein Menschenfreund, Christus sein Evangelist. Er schreibt Jesu Taten und Wort auf, aber auch um, weil er an eine bestimmte Wirkung denkt. Der Roman zeigt das Gewicht des Making-of: Wenn die Geschichte des Gottessohnes überdauern soll, muss sie verschriftlicht werden. Aber damit sind ganz wichtige Fragen verbunden: Wer bezeugt das Geschehene? Wie wird es in der Darstellung gestaltet und damit gedeutet?
Können Evangelien als literarische Texte gelesen werden? Ihr Anspruch ist ja ein anderer: Sie wollen eine Heilsgeschichte erzählen.
Ja und nein. Wenn wir ein modernes Literaturverständnis nehmen, wollen sie tatsächlich mehr sein. Zugleich bleiben sie Erzählungen wie andere auch. Die Verschriftlichung der mündlichen Erzähltraditionen war für die frühe Kirche ein wichtiger Akt. Aber im Alltag las niemand ein Evangelium von vorn bis hinten. Die Schrift war das Medium der Elite. Die Geschichten wurden in den Gemeinden einzeln ausgelegt. Ihre literarische Raffinesse blieb da wohl verborgen. In der Kanonisierung haben sich aber jene Texte durchgesetzt, die erzählerisch besonders überzeugen.