Schwerpunkt 26. März 2024, von Isabelle Berger

«Jesus war Jude, so wie ich es heute bin»

Jesus von Nazaret

Der Berner Rabbiner Jehoschua Ahrens beschäftigt sich intensiv mit Jesus. In ihm sieht er Verbindendes, aber auch Trennendes.

«Ich finde es wichtig zu sehen, was die Botschaft von Jesus ist. Auf die Frage, was das Wichtigste sei, sagt er: ‹Die Liebe. Die Liebe zu Gott und die Nächstenliebe.› Dabei zitiert er direkt die Tora.

Und zu dieser Bibelstelle gibt es eine Parallele in der rabbinischen Literatur. Rabbiner Hillel wird gefragt: ‹Was ist der wichtigste Inhalt der Tora?› Er antwortet: ‹Was du nicht willst, was der andere tue, das tu nicht dem anderen.›

Die Liebe zu Gott und zum Nächsten ist der Kern der Botschaft der Tora wie auch jener von Jesus. Das ist eine grosse Parallele, und da sympathisiere ich mit ihm.

Jehoschua Ahrens, 45

Jehoschua Ahrens, 45

Der gebürtige Deutsche ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Bern und im Austausch zwischen jüdischen, christlichen und muslimischen Menschen engagiert. Derzeit habilitiert Jehoschua Ahrens zu jüdischen Schriften über das Christentum.

Ich beschäftige mich wissenschaftlich mit Jesus, und damit wohl intensiver als der durchschnittliche Rabbiner. Die Jesus-Geschichten zu lesen, ist spannend. Viele Konzepte aus den rabbinischen Schriften Midrasch und Talmud findet man im Neuen Testament wieder.

Zudem war Jesus ein religiöser Jude seiner Zeit, wie auch ich es heute bin. So entsteht automatisch eine Verbundenheit. Aber ich empfinde auch Ambivalenz gegenüber Jesus, da vieles falsch verstanden und ins Gegenteil interpretiert wurde. So entstand auch die antijüdische Theologie im Christentum.

Bereicherndes im Austausch

Ich begegne Jesus auch im interreligiösen Austausch. Da merke ich jeweils, dass auch im christlichen Verständnis davon, was Jesus machte, Bereicherndes für mich drin ist.

Was ich Christinnen und Christen ans Herz legen möchte, ist, die Verbundenheit zwischen Christentum und Judentum zu sehen. Der reformierte Theologe Karl Barth sagte, das Heil der Christen komme von den Juden, und das Heil der Christen sei verknüpft mit dem der Juden. Wie die Christen die Juden behandelten, werde auch das Schicksal der Christen entscheiden.

Die meisten – und gerade auch die einflussreichsten – Rabbiner äusserten sich positiv über Jesus. Sie sahen ihn als Juden seiner Zeit.

Als Christ kann man also nie Antisemit sein, weil es heisst, die eigene Heilsgeschichte und Religion abzulehnen. Gerade in den aktuellen schwierigen Zeiten, in denen der Antisemitismus wieder erstarkt, wünsche ich mir, dass die Christinnen und Christen zu ihren jüdischen Geschwistern stehen.

Seit ungefähr 1000 Jahren machen sich Rabbiner Gedanken zum Christentum. Die meisten – und gerade auch die einflussreichsten – Rabbiner äusserten sich positiv über Jesus. Sie sahen ihn als Juden seiner Zeit. Einige kritisierten ihn aber als jüdischen Ketzer.

Zwiespältige Wahrnehmung

Jesus sei nicht der Messias und habe nur Leid über das Judentum gebracht. Viele mittelalterliche Kommentatoren liessen das Christentum jedoch als Religion für Nichtjuden gelten und anerkannten so auch Jesus. Weitere Rabbiner sahen in Jesus eine gemeinsame Basis von Juden- und Christentum in Bezug auf Werte und Moral.

Die positivsten Aussagen zu Jesus machte der berühmte Rabbiner Jacob Emden im 18. Jahrhundert: Der jüdische Jesus habe als Teil des göttlichen Plans gehandelt. Er sei der Messias gewesen, aber nicht für die Juden, sondern für die Nichtjuden. Er habe den Götzendienst besiegt und den Völkern eine echte Religion geschenkt. Diese Sicht prägt die Orthodoxie bis heute.»