Recherche 06. Juli 2020, von Katharina Kilchenmann

«Die EKS ist nicht krisentauglich»

Kirche

Das Debakel rund um den zurückgetretenen Kirchenratspräsidenten Gottfried Locher zeigt: Die Akteure sind nicht krisentauglich. Das sagt der Kommunikationsexperte Stefan Herrmann.

Stefan Herrmann, Sie befassen sich nicht speziell mit der Kirche. Was haben Sie von der Krise in der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) mitbekommen?

Eigentlich recht wenig. Aus den Informationen der Tagespresse, die ich oberflächlich eingesehen habe, schloss ich vor allem eines: Dass die Reformierten – wie die Katholiken – nun auch ein Problem mit Grenzverletzungen haben. Und dass die EKS offenbar ein personelles Problem hat. Dass es sich aber um einen so komplexen Fall handelt, der als veritabler Skandal wahrgenommen wird, habe ich erst realisiert, als ich mich intensiver damit befasste.

Ist es also ein kircheninterner «Sturm im Wasserglas»?

Das weiss ich nicht. Natürlich hat die Schlagzeile und das Bild Gottfried Lochers im «Blick» eine grosse Öffentlichkeit erreicht. Aber in den Sozialen Medien, die ich beobachte, wurde die Angelegenheit nicht diskutiert.

Nun haben Sie sich damit auseinandergesetzt. Was ist Ihnen als Kommunikationsfachmann vor allem aufgefallen?

Primär, dass hier einmal mehr eine einzelne Person durch ihr Verhalten eine ganze Körperschaft in Misskredit brachte. Ähnlich wie im Fall des Bundesanwalts Michael Lauber oder des Politikers Pierre Maudet gelang es auch Gottfried Locher nicht, sich früh genug die Frage zu stellen: Was bringt mein Verhalten eigentlich meinem Betrieb? Damit passierte genau das Gegenteil dessen, wozu er eingestellt wurde, nämlich: Er schadete der EKS.

In diesem Fall waren es aber gleich mehrere Personen, die durch ihr Verhalten den Konflikt eskalieren liessen, zum Beispiel auch Sabine Brändlin als Ratsmitglied.

Ja, und weitere Rats- und Synodenmitglieder. In dem Debakel zeigte sich, dass die EKS absolut nicht krisentauglich ist. Am deutlichsten war das an der Tatsache zu erkennen, dass es neben den beiden «Bad Cops» Locher und Brändlin, keinen «Good Cop» gab. Es gab keine Figur, keine Ansprechperson, die den Willen des EKS repräsentierte, die Angelegenheit wirklich zu klären.

Tatsächlich haben viele Akteure unkoordiniert kommuniziert. Was löst das aus?

Unsicherheit und Spekulationen. Die Presse und die interessierte Öffentlichkeit wussten nicht, welcher Quelle sie glauben sollten. In Zeiten von Fake-News hat das fatale Folgen. Anstatt der heterogenen, ungeordneten Kommunikation freien Lauf zu lassen, hätte die EKS eine erkennbare Mediensprecherin oder Sprecher legitimieren und ausstatten müssen, welcher der Öffentlichkeit den Konsens der Gruppe mitteilt.

Kommunikationsbeauftragte haben also eine wichtige Funktion - vor allem in Krisen?

Natürlich, ganz besonders wenn es, wie in diesem Fall, um Grenzverletzungen und heimliche Affären geht, die die Emotionalität und Sensibilität steigern. Ein Gremium ist krisentauglich, wenn es die Differenzen zum Konflikt und den Prozess der Wahrheitsfindung hinter geschlossenen Türen aushandelt, um dann mit einer Stimme zu sprechen. Und so rasch wie möglich vollkommene Transparenz verspricht.

Der Rat der EKS hat sich offenbar von Kommunikationsfachleuten beraten lassen. Haben die versagt?

Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass es Konstellationen gibt, die nur schwer zu handeln sind. Wenn das Gremium zu disparat ist, kann der beste Kommunikator keinen guten Job machen. Es braucht den Willen zu Einigkeit und Transparenz. Nur so wird ein Rat wieder handlungsfähig.

Stefan Herrmann

Der PR-Berater und Wirtschaftswissenschaftler ist seit 25 Jahren in der Kommunikationsbranche tätig. Er leitet den Standort Bern der Agentur Infel und ist Dozent beim Swiss Marketing Institute (SMI).