Recherche 25. Juni 2020, von Felix Reich

Die EKS sucht einen Weg aus der Vertrauenskrise

Kirche

Bei der Aufarbeitung der Rücktritte von Sabine Brändlin und Präsident Gottfried Locher aus dem Rat zeigt sich die Synode latent überfordert. Sie hat eine Untersuchung angeordnet.

Erschlagen und voller Fragen. Das war die Gefühlslage vieler Mitglieder von Rat und Synode nach der Sitzung vom 15. Juni. Im Zentrum der ersten Tagung des Parlaments der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) stand die Aufarbeitung der Rücktritte von Sabine Brändlin und Präsident Gottfried Locher aus dem Rat im April und Mai.

Noch bevor die Geschäftsprüfungskommission den Synodalen ihren Bericht verteilt hatte, beantragte sie den Ausschluss der Öffentlichkeit. Doch sie verfehlte die nötige Zweidrittelmehrheit knapp. Und später machte Ratsmitglied Ulrich Knoepfel die wirre Debatte um die Vertraulichkeit des Berichts obsolet. Er habe Locher und Brändlin zum Rücktritt aufgefordert, da sie einst ein Verhältnis hatten, erklärte der Glarner Kirchenratspräsident.

Entscheide in neuem Licht

Die GPK hält in ihrem Bericht fest: «Es stellt sich die Frage, ob die Rats­arbeit wegen nicht offengelegter Befangenheit von zwei Ratsmitgliedern ganz oder teilweise anfechtbar sei.» Die Sorge teilt Knoepfel. Die inzwischen beendete Beziehung habe bereits vor den Wahlen 2018 bestanden. «Das Wahlgremium wurde hintergangen», betont Knoepfel. Entsprechende Gerüchte habe der Präsident damals gegenüber seinen Ratskollegen dementiert.

Es stellt sich die Frage, ob die Rats­arbeit wegen nicht offengelegter Befangenheit von zwei Ratsmitgliedern ganz oder teilweise anfechtbar sei.
Geschäftsprüfungskommission der EKS

Latentes Misstrauen

Die Liaison habe die Prüfung der Beschwerde einer einstigen Mitarbeiterin Lochers wegen Grenzverletzungen, die der Rat im April behandelte, «massiv erschwert», sagt Knoepfel. Denn ausgerechnet Brändlin war von Vizepräsidentin Esther Gaillard hinzugezogen worden, um die heikle Vorlage vorzubereiten. Das Duo konsultierte Anwälte und Kommunikationsprofis, angesichts der Komplexität des Geschäfts liegen inzwischen Rechnungen in sechsstelliger Höhe vor.

Das Vorgehen am Rat vorbei taxiert die GPK als Verletzung des Kollegialitätsprinzips. Ihre Kritik relativiert sie, indem sie das «latente Misstrauen gegenüber dem Verhalten des Präsidenten nach vielfältigen Vorwürfen zu seiner Position gegenüber Frauen und Macht» erwähnt. Wenig Verständnis hat hingegen der Berner Synodalratspräsident Andreas Zeller: «So kann eine Exekutive nicht arbeiten.»

Schwierige Doppelrolle

Gaillard sagt, sie habe nach vertraulichen Gesprächen mit der ehemaligen Mitarbeiterin keinen anderen Weg gesehen, als das Geschäft unter dem Siegel der Verschwiegenheit vorzubereiten. «Als Vertrauensperson und Ratsmitglied befand ich mich in einer schwierigen Doppelrolle.» Ob die Ombuds­stelle zuvor adäquat reagiert hatte, müsse unabhängig untersucht werden.

Während der Rat daran festhält, in der turbulenten Zeit zusammengewachsen zu sein, urteilt die GPK anders: Zwischen den Vizepräsidierenden sei das «Vertrauensverhältnis zerbrochen». Vize Daniel Reuter verhehlt Differenzen rund um die Beschwerde nicht, betont aber: «In allen anderen Fragen arbeiten wir vertrauensvoll zusammen.» Auch Gaillard spricht von einer «ehrlichen, fairen Zusammenarbeit».

Drohkulisse und Ablenkung

Der Aargauer Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg kritisiert,  dass die GPK die «unüberbrückbaren Differenzen», die Brändlin in der Rücktrittserklärung vom 24. April erwähnte, «aus dem Blick verlor». Die Pfarrerin hatte bei der Behandlung der Beschwerde die Suspendierung des Präsidenten und die Information der Öffentlichkeit verlangt. 

Vor der Synode erwähnte Gaillard im Interview mit «reformiert.» eine «juristische Drohkulisse und Störmanöver innerhalb der EKS», die den Schritt verzögert hätten.

Es ist zu befürchten, dass der Rat das Verhältnis von Locher und Brändlin betont, um von eigenen Fehlern abzulenken.
Christoph Weber-Berg, Kirchenratspräsident Aargau

Während der Blockade soll Locher der Versuch zugestanden worden sein, sich mit der Beschwerdeführerin gütlich zu einigen. Dieses Vorgehen wollte Brändlin nicht mittragen.

Weber-Berg fürchtet, dass der Rat diese Differenzen nun negiert und das Verhältnis von Locher und Brändlin betont, «um von eigenen Fehlern im Umgang mit der Beschwerde abzulenken». Zeller attestiert der GPK, «mit Sorgfalt gearbeitet zu haben». Eine Schwäche des Berichts sei, «dass er zur Beschwerde schweigt». Antworten erhofft sich der Berner jetzt von der unabhängigen Untersuchung.

Die Synode übernimmt

Vom Rat wurde Christine Baumgartner der Zürcher Anwaltskanzlei Rudin Cantieni mit der Untersuchung der Beschwerde beauftragt. Das Mandat unterstellte die Synode nun einer Kommission. Ende September definiert sie deren Auftrag.

Nach dem Rücktritt kann Locher nicht gezwungen werden, sich der Untersuchung zu stellen. Auch eine Anzeige liegt nicht vor.