Recherche 10. Juni 2020, von Felix Reich

«Der Rat wollte nichts vertuschen»

Kirche

EKS-Vizepräsidentin Esther Gaillard wehrt sich gegen den Vorwurf, der Rat habe die Beschwerde gegen den zurückgetretenen Präsidenten Gottfried Locher nicht ernst genommen.

Wird in einer Institution eine Beschwerde wegen Grenzverletzungen eingereicht, ist es das übliche Vorgehen, dass die beschuldigte Person suspendiert und die Öffentlichkeit informiert wird, es liege eine Beschwerde vor. Weshalb hat der Rat der EKS das nicht gemacht?

Esther Gaillard: Mit Sabine Brändlin habe ich das Geschäft vorbereitet. Wir beantragten eine unabhängige Untersuchung sowie die Suspendierung des Präsidenten. Im Rat hatten wir eine Mehrheit dafür. Doch Störmanöver innerhalb der EKS und ­eine massive juristische Drohkulisse führten zur Blockade.

Was für Störmanöver?

Dazu kann ich mich nicht äussern. Die Untersuchung der Vorfälle wird hier hoffentlich Klarheit schaffen.

Der Aargauer Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg spricht von einem «kommunikativen Totalversagen» der EKS.

Die Mitteilung nach dem Rücktritt von Sabine Brändlin ohne ein Wort des Dankes ist misslungen. Diesen Fehler bedaure ich sehr. Ich verstehe deshalb den Unmut in den Mitgliedskirchen. Aber ich hätte erwartet, dass die Kirchenleitungen das vertrauliche Gespräch suchen, bevor sie an die Presse gehen.

Störmanöver innerhalb der EKS und ­eine massive juristische Drohkulisse führten zur Blockade.

In den Medien war zu lesen, Sabine Brändlin sei vor ihrem Rücktritt mit dem Versuch gescheitert, die Beschwerde im Rat zu behandeln.

Das stimmt nicht. In der Sitzung vom 17. April entschied der Rat, eine externe Untersuchung einzuleiten. Wir mussten aber dem Präsidenten das rechtliche Gehör schenken, deshalb konnten wir den Entscheid nicht sofort umsetzen. Es braucht halt Zeit, wenn man sorgfältig arbeiten will. Ich sage aber trotzdem: mission accomplie. Die Mehrheit des Rats liess sich nicht beirren.

Seine Mission tatsächlich erfüllt hätte der Rat doch erst, wenn er transparent informiert und dann die Vorwürfe rasch geklärt hätte.

Dafür wären wir auf die Koopera­tion des Präsidenten angewiesen gewesen. Am besten hätte er natürlich der Untersuchung zugestimmt, weil kein Fehlverhalten vorliege, und sein Amt bis zum Abschluss des Verfahrens ruhen lassen.

Die Reputation der EKS ist beschädigt. Wie will sich der Rat das nötige Vertrauen wieder erarbeiten?

In der Verfassung steht, dass EKS und Mitgliedskirchen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen: gemeinsam Kirche sein. Die massive Kritik durch Kirchenvertreter tut der Reputation auch nicht gut. Der Rat nimmt die Interpellation der Kirchen Aargau, Bern-Jura-Solothurn, Waadt und Zürich sehr ernst und wird sich den Fragen in der Synode stellen.

Ich sage aber trotzdem: mission accomplie. Die Mehrheit des Rats liess sich nicht beirren.

Unterstützer von Gottfried Locher sprechen von einer Intrige. Hat nicht auch ein EKS-Präsident das Recht auf Privatsphäre?

Der Vorwurf einer Intrige ist völlig fehl am Platz. Der Präsident ist laut Verfassung mit Rat und Synode Teil der dreigliedrigen Leitung der EKS, die gemeinsam das geistliche Leben fördern. Er ist mit all seinem Tun der EKS verpflichtet und repräsentiert sie in der Öffentlichkeit. Da erwarte ich eine Kohärenz zwischen Aussagen und Lebensführung. Es geht hier ja nicht um Moral oder eine Affäre. In der anwaltlich verfassten Beschwerde werden Machtmissbrauch und Grenzverletzungen beschrieben. Solche Vorwürfe dürfen nicht vertuscht werden.

Besteht nicht die Gefahr einer Vorverurteilung in der Öffentlichkeit?

Wir wussten durchaus um die Gefahr, dass Details an die Öffentlichkeit dringen könnten. Deshalb wollten wir früh und transparent über das Vorgehen informieren. Das ist leider nicht gelungen.

Der zurückgetretene Präsident empfiehlt «die personelle Erneuerung», die Leitung der EKS sei «umfassend in neue Hände zu legen».

Vielleicht war das die letzte Grenzüberschreitung? Dieses Schreiben ging nicht einmal an alle Mitglieder der Synode und erreichte die offi­ziellen Partner der EKS sowie die Geschäftsstelle. Mir ist Loyalität wichtig. Ich habe lange eng und gut mit dem Präsidenten zusammengearbeitet. Zuletzt engagierte ich mich als Vizepräsidentin für eine angemessene Vereinbarung mit dem zurückgetretenen Präsidenten. Dass er nur einen Tag später unter dem offiziellen Logo der EKS ein persönliches Schreiben mit dieser Forderung verschickt, finde ich schockierend.

Esther Gaillard (62)

2014 wurde Esther Gaillard in den Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds gewählt, der sich 2020 als Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) neu gründete. Sie arbeitete zunächst als Erzieherin für behinderte Kinder, später als Winzerin. Zehn Jahre war sie Mitglied des Synodalrats der reformierten Kirche Waadt, den sie 2009 bis 2014 präsidierte.

EKS-Präsident gibt sein Amt per sofort ab

Wegen seiner «aktuell beschränkten Gestaltungskraft als Präsident» gab Gottfried Locher sein Amt an der Spitze der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) per sofort ab. Für eine Stellungnahme war er nicht erreichbar.

Vorausgegangen waren dem Rücktritt Spekulationen über eine Beschwerde gegen Locher, in der es um Grenzverletzungen gehen soll. Zudem hatten sich sieben Frauen vier Mitgliedern der EKS-Synode anvertraut wegen «Grenzverletzungen». Der Aargauer Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg konkretisiert die Vorwürfe nicht, sagt aber, die Berichte seien glaubwürdig. «Mit einem Präsidialamt in der Kirche ist das, was uns berichtet wurde, nicht vereinbar.» Er fordert eine unabhängige Untersuchung. Der Rat der EKS hat eine externe Prüfung eingeleitet. Er teilte bezüglich der Beschwerde mit, der Sachverhalt sei «nicht erstellt oder erhärtet».

Mit «Traurigkeit» reagiert Emmanuel Fuchs auf Lochers Rücktritt. Der Präsident der reformierten Kirche in Genf sagt, es sei nie gut, Personen, «die der Kirche sehr gedient haben, unter Umständen zurücktreten zu sehen, die persönlich schwierig sind». Für die zurückhaltende Kommunikation des Rats zeigt er Verständnis. Für Weber-Berg hingegen zeugt sie «von fehlendem Problembewusstsein». Die Synode der EKS tagt am 15. Juni.

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