Recherche 11. Juni 2020, von Sabine Schüpbach Ziegler

Gefahren der diffusen Macht in der Kirche

Prävention

Unklar ist, welche Grenzverletzungen Gottfried Locher vorgeworfen werden. Das gehe die Öffentlichkeit nichts an, erklärt Karin Iten von der Fachstelle Limita.

Sieben Frauen werfen Gottfried Locher Grenzverletzungen vor. Eine frühere Mitarbeiterin Lochers soll beim Rat der Evangelischen Kirche Schweiz in präventiver Absicht eine Beschwerde eingereicht haben.

Um was für Grenzverletzungen geht es konkret? Karin Iten ist Leiterin von Limita, der Fachstelle zur Prävention sexueller Ausbeutung. Sie betont: «Die genauen Inhalte von Beschwerden unterliegen dem Persönlichkeitsschutz. Ein detailliertes Ausbreiten vor dem ganzen Land, bevor Sachverhalte geklärt sind, bedeutet eine erneute Übertretung.» Die Beschwerden als Racheakte der Frauen zu bezeichnen und so den Spiess umzukehren, sei inakzeptabel. Genauso wenig dürfe aber der zurückgetretene EKS-Präsident, für den die Unschuldsvermutung gilt, vorzeitig als Sexualstraftäter stigmatisiert werden.

Eine toxische Kombination

Transparenz sei zentral beim Vorgehen zur Klärung der Vorwürfe, sagt Iten. «Eine Organisation muss ab der ersten Stunde nach Eingang einer Beschwerde gewährleisten, dass unabhängige, unbefangene, professionelle Schritte erfolgen.»

Auch ohne strafrechtlich relevant zu sein, sei eine sexualisierte Grenzverletzung stets beschämend und untragbar. «Besonders, wenn sie in einem Machtgefälle passiert.» Übertretungen seien meist systemisch verwurzelt, weshalb es in der Prävention wichtig sei, «Mechanismen von Macht und Manipulation in einer Organisation zu kennen».

In jeder formellen Machtposition gebe es Manipulationspotenziale, sagt Karin Iten, die ab August Präventionsbeauftragte im Bistum Chur wird. «Im kirchlichen Kontext kommt eine diffuse Macht aufgrund von Status, Geschlecht und Spiritualität hinzu, was in der Kombination toxisch wirkt.» Es brauche in jeder Kirche von Personen in einer Machtposition «viel Ehrlichkeit, sich der Machtreflexion zu stellen und die eigene Rolle bescheidener auszugestalten». Die EKS hat in den letzten Jahren auf Initiative von Sabine Brändlin, die am 24. April aus dem Rat zurückgetreten ist, Empfehlungen zur Prävention sexueller Übergriffe und zu Grenzverletzungen erarbeitet, gemeinsam mit der Fachstelle Limita.

Im Herbst 2019 hat die EKS die Unterlagen publiziert. Dort steht: «Grenzverletzungen und sexuelle Übergriffe sind mit der reformierten theologischen Grundhaltung der Achtsamkeit unvereinbar.» Die Dokumente richten sich vor allem an kleinere Kantonalkirchen, die noch keine Schutzkonzepte haben. Grössere wie die Zürcher Landeskirche verfügen schon über solche. 

Auch ohne strafrechtlich relevant zu sein, ist eine sexualisierte Grenzverletzung stets beschämend und untragbar.
Karin Iten

Noch kein Schutzkonzept

Für die Geschäftsstelle der EKS mit 33 Mitarbeitenden existiert noch kein Schutzkonzept, wie die Projektverantwortliche Bettina Beer-Aebi bestätigt. Der Betrieb hat aber eine externe Ombudsstelle. Federführend ist der Jurist und Mediator Martin Zwahlen, der sich als Spezialist für Mobbing am Arbeitsplatz  einen Namen gemacht hat.  «Es ist gewährleistet, dass Ratsuchende auf Wunsch mit einer Frau sprechen können», betont Beer. Die Ombudsstelle sei bei den Mitarbeitenden bekannt.

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