Grenzverletzungen sollen zum Rücktritt geführt haben

Kirche

Beim Rücktritt von Sabine Brändlin aus dem EKS-Rat gehe es um Grenzverletzungen, so Theologinnen und Theologen in einem offenen Brief. Sie fordern eine unabhängige Untersuchung.

«Verschiedene, ernst zu nehmende Hinweise» würden daraufhin deuten, dass es beim Rücktritt der Theologin Sabine Brändlin um das Thema Grenzverletzungen gehe, heisst es in dem offenen Brief vom 18. Mai. Unterschrieben ist er von zwölf Theologinnen und Theologen. Brändlin habe sich Grenzverletzungen und sexuellen Übergriffen innerhalb der Kirche annehmen wollen, argumentieren sie.

Welche weiteren Hinweise auf das Thema Grenzverletzungen die Verfasserinnen und Verfasser kennen, will Thomas Schaufelberger nicht sagen. Er ist bei der Zürcher Landeskirche unter anderem zuständig für die Aus- und Weiterbildung der Pfarrschaft und hat den Brief mitunterschrieben. «Die Hinweise lassen davon ausgehen, dass die Vermutung Hand und Fuss hat und sie dringender Klärung bedarf», lässt er durchblicken.

Im Ausstand

Brändlin hatte ihren Rücktritt am 24. April mit «unüberbrückbaren Differenzen» begründet. Die EKS hatte daraufhin mitgeteilt, er stehe in Zusammenhang mit einem laufenden Geschäft, bei dem Brändlin offenbar in den Ausstand treten musste.

Die Verfasser des Offenen Briefs fordern die EKS auf: Falls es dabei wirklich um Grenzverletzungen gehe, müssten diesbezügliche Anschuldigungen «ernst genommen und umgehend, transparent und von unabhängiger Stelle geprüft werden». Dies sowohl mit Blick auf mögliche Opfer wie auch im Interesse der Angeschuldigten, die womöglich entlastet werden könnten.

Spekulation um Beschwerde

Schaufelberger betont: «Es ist offen, welche Ergebnisse die Untersuchungen erbringen.» Der offene Brief ziele nicht auf die Person des EKS-Ratspräsidenten, sondern auf die zügige Untersuchung der Sache. Tatsächlich wird der Name Gottfried Lochers darin nicht genannt.

Anders in der Berichterstattung des «Tages-Anzeigers» über den offenen Brief. Die Demission Brändlins habe mit der Beschwerde einer ehemaligen Angestellten von Präsident Gottfried Locher bezüglich Grenzverletzungen zu tun, behauptet die Zeitung am 19. Mai.

Schaufelberger sagt dazu: «Der Rat der EKS hat sieben Mitglieder. Weshalb es bisher nicht gelang, Klarheit in dieser Frage und schnelle Transparenz zu schaffen, ist unklar. Mir geht es darum, dass endlich reiner Tisch gemacht und die Sache professionell untersucht wird.»

Angst vor Verzögerungstaktik

Doch was meinen die Verfasserinnen und Verfasser mit «Grenzverletzungen»? Schaufelberger sagt, in der kirchlichen Sprache sei dies ein Oberbegriff für alle Arten von Verletzungen der Intimsphäre und Würde eines Menschen. Sexueller Missbrauch könne genauso darunterfallen wie Psychoterror und Manipulation.

Zum Thema der Prävention von sexuellen Grenzverletzungen hat Schaufelberger schon intensiv gearbeitet. Er wirkte mit am Präventionskonzept der Zürcher Kirche und an der Umsetzung des neu möglichen Datenaustausches zwischen Landeskirchen bei Stellenwechseln von Pfarrpersonen. «Es war mir wichtig, den Brief zu unterschreiben, weil die Glaubwürdigkeit der Kirche und christlichen Werte auf dem Spiel stehen», sagt der Theologe.

Die Unterzeichnenden fordern vom Rat der EKS, der Geschäftsprüfungskommission und der Synode, die Vorgänge «ernsthaft und möglichst zeitnah» zu untersuchen. Im Vorschlag des Synodenpräsidiums, eine nichtständige Kommission während eines ganzen Jahres mit der Untersuchung zu beauftragen, sehen sie als Verzögerungstaktik und als Versuch, eine unabhängige Untersuchung zu umgehen.

Das Licht nicht scheuen

Die Theologinnen und Theologen sind überzeugt: «Eine beherzte und glaubwürdige Kirche scheut das Licht nicht, sondern macht sich für das Recht und für diejenigen, denen Unrecht widerfahren ist stark – auch, falls eine allfällige Täterschaft aus den eigenen Reihen kommt.»

Unterzeichnet haben das Schreiben auch die Pfarrerin Rita Famos aus Uster, die 2018 bei der Wahl ums Ratspräsidium der EKS als Gegenkandidatin gegen Amtsinhaber Gottfried Locher antrat und die Abteilung Spezialseelsorge der Zürcher Landeskirche leitet, und Judith Borter von der Fachstelle für Genderfragen der Reformierten Kirche Baselland. Auch Catherine McMillan, Reformationsbotschafterin und Pfarrerin in Schwerzenbach, und die Kilchberger Pfarrerin Sibylle Forrer haben unterschrieben.

Theologinnen und Theologen fordern Aufklärung

Der offene Brief im Wortlaut
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