Nach vorne schauen und aufhören, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Das müsste die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) doch jetzt. Vier Monate sind vergangen, seit Präsident Gottfried Locher und zuvor Ratsmitglied Sabine Brändlin zurückgetreten sind. Wer nicht vorwärtsschaut, gerät ins Stolpern.

Die Krise aufarbeiten und den Blick nach vorne richten
Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz kann nach ihrem Fehlstart nicht zur Tagesordnung übergehen. Dennoch braucht sie nicht in der Vergangenheitsbewältigung zu erstarren.
Um die Abstandsregeln einhalten zu können, verlegte die EKS die Synode ins Kongresszentrum. (Foto: EKS / Nadja Rauscher)

Teure Auseinandersetzung
Auch die Rechnung, die der EKS-Rat der Synode an der Sitzung vom 14. September präsentierte, wirft Fragen auf. 200 000 Franken haben die Auseinandersetzungen rund um die Beschwerde, in der Locher Grenzverletzungen vorgeworfen werden, bisher gekostet. Allein 76 000 Franken verschlang der Beizug von Kommunikationsexperten. Dass verunglückte Medienmitteilungen zur desaströsen Aussendarstellung beitrugen, wurde damit nicht verhindert.
Eine Kommunikation, die das Ansehen der Kirche im Blick hatte, statt Einzelinteressen zu schützen, schien kaum vorhanden. Wenn allein Persönlichkeitsrechte zählen, droht die Reputation der Institution auf der Strecke zu bleiben. Denn Institutionen werden durch Transparenz geschützt.
Rat und Synode sollten darüber nachdenken, ob die interne Kommunikation aufgewertet werden kann. Vielleicht könnten Mitgliedkirchen, die auf Stabsebene Kommunikationsfachleute beschäftigen, die EKS unterstützen. Auf PR-Profis zurückzugreifen, die sich weniger der Kirche als primär einzelnen Personen verpflichtet fühlen, ist der EKS nicht gut bekommen.
Weg frei für Frauenkonferenz
Im unterkühlten Kongresszentrum BernExpo startete die Synode die Aufarbeitung, indem sie die Kommission wählte, der die externe Untersuchung unterstellt wird. Die beauftragte Anwaltskanzlei Rudin Cantieni ist bereits an der Arbeit. Geleitet wird die Kommission von Marie-Claude Ischer, die auch den Synodalrat der Waadtländer Kirche präsidiert.
Um Pfarrerin Gabriela Allemann in die Kommission schicken zu können, verabschiedete die Synode extra einen Antrag. Die Präsidentin der Evangelischen Frauen Schweiz nimmt zwar an der Synode als Delegierte der Frauenkonferenz teil, hat aber kein Stimmrecht.
Im Zweifel zurückstehen
Solche Diskussionen hätten sich mit einer Wahl von Miriam Neubert, die als Synodale der Frauenkonferenz angehört, vermeiden lassen. Doch die Bündner Kirchenrätin zählt zu den Synodalen, der sich Frauen, die Locher Grenzverletzungen vorwerfen, anvertraut haben. Mit diesem Wissen wolle sie nicht in der Untersuchungskommission arbeiten, sagte Neubert.
Wären diese Vorsicht und Fähigkeit zur Selbstreflexion früher Standard gewesen in der EKS, wären ihr einige Irrungen und Wirrungen erspart geblieben. Nur wenn es gelingt, eine Kultur der Transparenz zu etablieren, in der persönliche Interessen zugunsten der Reputation der Institution zurückstehen, kann die EKS gestärkt aus der Krise hervorgehen.
Zugegeben. Eine Parlamentsdebatte über die Frage, ob Delegierte von Konferenzen in eine Kommission gewählt werden dürfen, ist nicht besonders prickelnd. Und bis die Kommission ihren Bericht vorlegt, dauert es noch neun Monate. Aber zuweilen sind geordnete, langwierige Prozesse nötig. Nachvollziehbare Entscheide und eine seriöse Untersuchung stärken die Glaubwürdigkeit der Kirche.
Profilierte Kandidatinnen
Stillstehen darf die EKS während der Untersuchung nicht. Wer im Bann seiner Vergangenheit zurückschaut, erstarrt zur Salzsäule. Die EKS darf den Blick nach vorne richten. Mit der breit abgestützten Verfassung steht ihr Haus. Um es zu bewohnen, müssen die vakanten Sitze im November neu besetzt werden. Nicht mit Übergangslösungen, sondern mit ambitionierten Persönlichkeiten.
Mit Rita Famos aus Zürich und Isabelle Graesslé, die von der Kirche Waadt nominiert wurde, steigen zwei fähige Kandidatinnen aus zwei Sprachregionen ins Rennen. Pfarrerin Claudia Haslebacher von der Evangelisch-methodistischen Kirche stellt sich für den Rat zur Verfügung.
Dass ausgerechnet jetzt, da sich zwei Frauen zur Kandidatur entschlossen haben, der Lohn für das Präsidium gekürzt wird, ist freilich eine bittere Ironie der Geschichte. Falsch ist die moderate Anpassung trotzdem nicht.
Überflüssige Debatte
Ziemlich überflüssig sind hingegen Debatten, ob die Reformierten überhaupt ein starkes Präsidium brauchen. «Der oberste Protestant» war schon immer eine mediale Erfindung, und die reformierte Kirche vielstimmig.
Entscheidende Voraussetzungen für das Spitzenamt sind Gestaltungskraft sowie die Fähigkeit, Vertrauen aufzubauen, und nicht zuletzt die kritische Reflexion der eigenen Macht.