Psalm 23 war immer mein Psalm. Mein Vater hat ihn oft gebetet, als ich Kind war. Ich verstand manches nicht an dem Gutenachtgebet, doch ich wusste, worum es geht: um das im Text gespeicherte Gottvertrauen. Und darum, dem Kind die Hand zu reichen, auf dass es in dieses Vertrauen hineinfindet. Heute bin ich dankbar für diesen Wortschatz.
Im Dickicht gefangen. Bald verfloss das Bild aus dem Psalm mit dem Gleichnis vom verlorenen Schaf, mit dem Jesus seinen Jüngern ins Gewissen redet (Matthäus 18,10-14 und Lukas 15, 3-7). In der Sonntagsschule malten wir Bilder des guten Hirten aus. Mich faszinierte die Vorstellung, dass dieser Hirt seine Herde zurücklässt, um ein einziges Schaf aus der schroffen Felswand zu retten.
Vielleicht gaben mir die Ausmalbilder eine erste Idee, was mit Gnade gemeint ist: Gottes Zusage, dass kein Mensch verloren geht, egal vor welchen Abgründen er steht, in welchem Dickicht er sich verfangen hat.
Wenn die Worte fehlen. «Wandere ich auch im finsteren Tal, fürchte ich kein Unheil, denn du bist bei mir», heisst es im Psalm 23 weiter und lässt mich an ein Lied denken, das mich seit jeher begleitet: «Vom Aafang bis zum Änd» von Paul Burkhard. «Nie mee fürch ich mich, dänn ich han ja dich, Jesus Chrischtus Herr.» Ich habe es oft gesungen, wenn mir die Worte fehlten. An Spitalbetten und Gräbern, mit einem schreienden Kind im Arm, das keinen Schlaf findet, manchmal sogar in dunklen Grossstadtgassen. Natürlich fürchtete ich mich trotzdem. Aber das Lied lockert den Würgegriff der Angst. Psalmen und Gebete sind Türen, die aus der Verlassenheit hinaus führen zu dem, der meine Erkenntnis übersteigt und nach mir sucht wie ein guter Hirt: Gott.