«Die Affen kommen jedes Mal an unseren Gottesdienst», sagt Tania Oldenhage. Das Habitat der Dscheladas, einer Pavianart, liegt direkt vor der Terrasse des Restaurants «Altes Klösterli», dahinter wölbt sich wie ein Ufo das filigrane Dach des Elefantenparks. An diesem nasskalten Tag lässt sich allerdings kein Affe am Rand des afrikanischen Gebirges blicken.
Immer im Juli veranstaltet Oldenhage hier zusammen mit ihrer Wiediker Kollegin Sara Kocher einen Zoo-Gottesdienst. Im letzten Jahr stand die Open-Air-Predigt unter dem Motto «Bär – Raubtier, Kuscheltier, heiliges Tier». Das Kuscheltier zeigte dort seine Zähne. «Die Bärin, der man die Jungen weggenommen hat, ist wohl eines der furchteinflössendsten Tierphänomene überhaupt», sagt Oldenhage. Und in der Bibel ist sie eine Metapher für Gott.
Viele Variationen für Gott
Die vielen Gottesbilder in der Bibel findet die Fluntermer Pfarrerin spannend. Darum hat sie auch die Serie «Bildstark» in «reformiert.» vom letzten Jahr gerne gelesen. Welche der besprochenen Metaphern haben ihr am besten gefallen? «Gott ist auch›Tau, ein Mantel aus Licht, die Quelle des Lebens», sagt sie nach kurzem Überlegen und fügt an: «Gut gewählt war die Überschrift ‹Gott ist auch.» Denn je grösser die Palette an Gottesbildern sei, desto offener werde die Vorstellung von Gott.
Im nächsten Zoogottesdienst nehmen sich die beiden Pfarrerinnen ein theologisch delikates Tier vor: die Schlange. Deren Ehrenrettung findet Oldenhage allerdings keine sehr grosse Herausforderung. Und erinnert mit einem Schmunzeln daran, dass bereits im 19. Jahrhundert die amerikanische Frauenrechtlerin Elizabeth Cady Stanton in ihrer «Frauenbibel» schrieb, die Schlange habe die höhere Natur der Frau verstanden. «Aber zu sagen, Gott ist auch eine Schlange – das wäre wirklich mal ein Wagnis», meint sie beim Weggehen in Richtung Friedhof Fluntern.
Der Nieselregen wird stärker, der Schnee immer mehr zu Pflotsch. Wie hat sie sich als Kind Gott vorgestellt? Oldenhage weiss es nicht mehr. Woran sie sich aber genau erinnert, ist, dass die Rede von Gott als Herr und auch als Vater schon früh schwierig wurde für sie. «Es waren keine stimmigen Anreden. Wenn ich sie im Gebet verwendete, fühlte es sich an wie ein Götzendienst», erzählt die 48-Jährige.
Vom Substantiv zum Verb
Auf dem Friedhof schippen die Männer von Grün Stadt Zürich den Schneepflotsch auf den Wegen beiseite. Die Pfarrerin ist oft hier für Abdankungen und betet mit der Trauergemeinde das Unservater. Viele bleiben heute stumm beim bekanntesten Gebet der Christenheit, weil sie den Text nicht mehr kennten, erzählt sie. Sie setzt deshalb oft hinzu: «Beten Sie mit, wenn Sie möchten.» Und auch wenn sie in ihrer persönlichen Rede Herr und Vater nicht verwendet, betet sie vor der Gemeinde im Unservater «meistens zum Vater».
Auch bei Bibeltexten ist Oldenhage zurückhaltend mit überraschenden Übersetzungen. «Wenn die Anrede, das Gottesbild Teil des Themas der Predigt ist, setze ich das natürlich ein.» Doch was sie vermeidet, ist, dass die Zuhörerschaft wegen einer ungewöhnlichen Übersetzung statt über den Inhalt der Predigt vor allem darüber nachdenkt, welchem Gottesbild die Pfarrerin anhängt.
«Gott ist auch Wärme», bemerkt Oldenhage, während die eisige Nässe immer mehr durch die Kleider kriecht. Viele Metaphern von Gott seien Substantive. In der feministischen Theologie gebe es aber die schöne Vorstellung von Gott als Verb, als Tätigkeit, erzählt sie. «Das führt weg vom statischen Bild hin zu einem Beziehungsgeschehen.»
Die Pfarrerin erinnert sich an den letzten Ewigkeitssonntag. Eine schwierige Situation, in der Gemeinde hatte es schlimme Todesfälle gegeben. Während dem Predigen kroch eine kleine Spinne über ihre Hand. «Natürlich war das nicht Gott», sagt sie. Aber die Zartheit des krabbelnden Tiers angesichts der Schwere der Trauer – dieser Moment habe sie gestärkt.»
Das weisse Blatt Papier
Vom Friedhof sind es nur ein paar Schritte zur Haltestelle Zoo. Dort drängen Frauen mit Kinderwagenund Schülergruppen ins Tram. Manche Jugendliche sind im Konf-Alter. Begegnet sie im Konfirmandenunterricht noch der Vorstellung eines weissbärtigen Mannes, der über den Wolken thront?
Oldenhage schüttelt den Kopf und erzählt von einem ihrer religionspädagogischen Schlüsselerlebnisse: Im letzten Jahr hat sie den jungen Leuten die Aufgabe gegeben: «Stellt euch vor, ihr seid ein Kind und sollt Gott malen.» Einer der Konfirmanden hat das Blatt leer gelassen mit der Begründung, er wolle sich kein Bild machen von Gott, das weisse Blatt sei angemessener als alles, was er sich je vorstellen könne. «Das hat mich tief beeindruckt», erzählt Oldenhage. Das leere Blatt ist ihr zum Leitmotiv geworden im Umgang mit Gottesbildern. Aber sie gibt zu: Es braucht eine grosse spirituelle Übung, das Blatt «Gott» weiss zu lassen.
Der Geruch des Göttlichen
Die Pfarrerin sucht deshalb nach Bildern, die offen und schwebend sind. Gott als Duft etwa, wie dies die mexikanische Theologin Elsa Tamez entworfen hat. Sie schrieb: «Die Transzendenz in unserer Welt zu spüren, ist, als ob man überall Gott riechen und seinen ganz besonderen Duft wahrnehmen würde.» Für Tamez kann Gott auch fürchterlich riechen. In den Slums bei den Müllbergen, auf Schlachtfeldern, in Folterkellern.
Im Tram erzählt Oldenhage von ihren Duftexperimenten mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden. Sie bringt verschiedene Parfums mit, und die jungen Leute sollen beschreiben, wie diese riechen. Eine Übung, die bei der gedanklichen Verbindung «Gott ist wie ein Duft», die ganze Schwierigkeit, Gottesbilder zu fassen, aufzeigt.
Angekommen im warmen Pfarrbüro in der Helferei neben der Alten Kirche Fluntern, sagt Tania Oldenhage: «Manche Gottesbilder in der Bibel erfüllen mich auch mit Unbehagen – Gott als Burg zum Beispiel.» Zugleich erinnert sie sich aber an ein eindrückliches Erlebnis in Afrika.
Möglichst starke Bilder
Im Rahmen eines Austauschprojekts von Theologinnen aus Afrika und der Schweiz war sie mit ihrer Kollegin Verena Naegeli vor drei Jahren zu Besuch in Simbabwe. «In unseren Diskussionen an Colleges sprachen wir vom verletzlichen Gott, von Jesus, der am Kreuz gestorben ist, davon, dass Gott vielleicht nicht allmächtig ist.» Die afrikanischen Kolleginnen hatten Einwände. In einem Land am wirtschaftlichen Abgrund, in dem Aids und politische Probleme zum Alltag gehören, ist die Rede von einem schwachen Gott nicht unbedingt hilfreich. «Dort wünschen sich die Menschen einen starken Gott, einer der Burg, Schutz und Schild ist», erzählt Oldenhage.
Seither ist für sie klar: Gottesbilder, die für sie persönlich schwierig sind, können für andere genau die richtigen sein und umgekehrt. Und sie fügt an: «Die Auseinandersetzung mit Gottesbildern läuft immer auch Gefahr, zur reinen Spielerei zu werden». Denn sie gebe keine Antwort darauf, was einen im Alltag trage. Am wichtigsten bleibt für sie darum das «leere Blatt», die Frage, wie man sich von Bildern befreit. Christa Amstutz und Delf Bucher
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