Die Glocken läuten wie eh und je. Seit bald hundert Jahren steht die Friedenskirche mitten im Berner Mattenhofquartier. Ihre Mauern scheinen für die Ewigkeit gebaut. Aber die aktuellen Entwicklungen nagen am Fundament des Gotteshauses. Gerüchte kursieren: Wird der Bau abgerissen? Ist eine neue Nutzung geplant?
Heilige Räume. Nicht nur in Bern müssen die Kirchgemeinden grundsätzlich überlegen, was sie mit ihren teuren und wenig ausgelasteten Liegenschaften anstellen wollen. Für immer mehr Menschen in der Schweiz verlieren Kirchen und Kirchgemeindehäuser an Bedeutung. Die Angebote werden kaum genutzt, nur an Heiligabend, bei Taufen oder Abdankungen sind die Kirchenbänke noch gut gefüllt. Ansonsten ist die Situation in der Schweiz ähnlich wie in anderen stark säkularisierten Gesellschaften, in Holland etwa oder in Grossbritannien. Da wurden in den letzten Jahren bereits Hunderte Kirchen geschlossen, verkauft oder umgenutzt. Die einst heiligen Räume sind inzwischen Pubs, Autogaragen, Moscheen, Kinos oder sie bieten Platz für Wohnungen. Oder die Gebäude bleiben leer und zerfallen nach und nach.
Sentimentale Gründe. Hierzulande gibt es keine derart spektakulären Verwandlungen, und die Diskussionen über das «Wie weiter» mit den überzähligen Kirchen haben erst so richtig angefangen. Die Meinungen dazu scheinen in der breiten Bevölkerung schnell gemacht: Was keiner braucht, soll weg. Erst recht, wenn der Unterhalt dermassen teuer ist. Viele sind grundsätzlich dafür, dass die Kirchgemeinden ihre Liegenschaftskosten reduzieren. Es sei denn, es gehe um die Kirche in ihrem Quartier, die beispielsweise zum Flüchtlingszentrum werden soll. Oder um die Kirche samt Kirchgemeindehaus, die lukrativen Neubauten weichen soll. Dann kommen Emotionen auf. «Selbst Kirchenferne wehren sich oft gegen eine Umnutzung oder einen Abbruch. Nicht aus religiösen, sondern aus sentimentalen Gründen», sagt Johannes Stückelberger, Dozent für Religions- und Kirchenästhetik an der Universität Bern.
Sinnvolle Neunutzung. Er beobachtet die Entwicklung der Kirchenlandschaft in der Schweiz seit Jahren und betont: Kirchenumnutzungen sind kein neues Phänomen, es gibt sie, seit es Kirchen gibt. So wie sich die Gesellschaft verändere, verändere sich auch die Nutzung der Kirchen. «Es ist weder angebracht, darin das Ende der Kirche als Institution zu sehen, noch sollte man allzu leichtfertig die Gebäude verschachern.» Für ihn ist Umnutzung oder die erweiterte Nutzung dann gelungen, wenn die Verbindung zur Besonderheit des Ortes bleibt. Wenn beispielsweise eine Kirche, die an prominenter Lage steht, auch weiterhin öffentlich genutzt wird. Und damit die gegebenen Gesetzmässigkeiten einbezogen werden. «Kirchen sind und bleiben besondere Räume. Und es gibt viele Möglichkeiten, das jeweilige Potenzial zu nutzen.»
Traumhafter Blick.In der Stadt Bern ist bereits einiges am Laufen. Die Sparvorschläge der zwölf städtischen Kirchgemeinden liegen auf dem Tisch, und erste Entscheide sind gefällt. Die Friedenskirche im Mattenhofquartier geht in den Besitz der Gesamtkirchgemeinde über, kann aber in den kommenden zwei Jahren noch als Gotteshaus genutzt werden. Die Matthäusgemeinde verzichtet auf ihre Kirche sowie das Kirchgemeindehaus im Rossfeld. Und die ehemalige Turmwartwohnung auf dem Münsterturm wird umgebaut. Dort entsteht ein Veranstaltungs- und Sitzungszimmer mit einem traumhaften Blick auf die Berner Altstadt. Ein weiser Entscheid: Wenn während der Sitzung die Glocken läuten, ist es so laut, dass alle schweigen müssen. Dann hat die Kirche das Wort.
