Schwerpunkt 17. September 2023, von Christa Amstutz Gafner

Zentrum der feministischen Theologie

Kirche

Kaum ein Ort hat die Zürcher Kirche in Sachen feministischer Theologie weiter gebracht als das evangelische Tagungszentrum Boldern. Doch jetzt fehlt ihr ein fester Platz.

Als Reinhild Traitler 1984 vom Öku­menischen Rat der Kirchen in Genf nach Boldern kam, um den Studienbereich «Frau, Theologie, Gesell­­schaft» aufzubauen, betrat sie kein Neuland. Seit 25 Jahren schon hatten mit Marga Bührig und Else Kähler hier zwei Pionierinnen gewirkt. Boldern war bereits ein Ort mit grosser Ausstrahlung, wo Frauen nach Selbstbestimmung, Gleichstellung und Sichtbarkeit suchten.

Eine Erfolgsgeschichte

«Die Erwartungen waren hoch. Würde ich ihnen genügen?», schreibt die unterdessen verstorbene Reinhild Traitler im 2022 erschienenen Buch «Mächtig stolz», das 40 Jahre feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz beleuchtet und diskutiert.

Ihre Zweifel waren unbegründet. Traitler  wurde in Zürich von einem ständig wachsenden Kreis engagier­ter Frauen empfangen, die darauf brannten, die Boldern-Frauenarbeit neu zu positionieren. Was folgte, ist eine Erfolgsgeschichte. Zusammen mit der jungen Pfarrerin Gina Schibler, die ein Jahr später nach Boldern kam, entwickelte sich das Studienhaus zu einem der wichtigsten deutschsprachigen Zentren für feministische Theologie.

«Immer mehr Frauen erkannten, wie patriarchal die Kirche war», erzählt Gina Schibler. Bis zu 150 Teilnehmerinnen an Veranstaltungen wa­ren die Norm, die einwöchigen Sommerakademien und die länger dauernden feministischen Ausbildungskurse waren meist sofort ausgebucht. Sie entstanden oft auch in öku­menischer Zusammenarbeit mit an­deren kirchlichen Tagungszentren. Und einiges besteht in europäischen Organisationen weiter.

Bibel und Gleichstellung

«Es war eine besondere Zeit», berichtet Schibler. «Wir fühlten uns als Frauen miteinander verbunden, unabhängig vom jeweiligen Hintergrund.» Rege besucht wurden die Veranstaltungen von Pfarrfrauen, die meist noch die Rolle als unbezahl­te Mitarbeiterin ihres Mannes hatten, von Gemeindehelferinnen, die Wichtiges leisteten, aber nicht mitreden konnten, von Pfarrerinnen, die im Studium nichts von der feministischen Theologie erfuhren.

Es ging nicht nur um Theologie, um eine andere Lesart der Bibel und neue Liturgieformen. Auf Boldern wurden auch gesellschaftliche und rechtliche Missstände in Bezug auf die Gleichstellung thematisiert. «Das hat ab und an auch Ehekrisen befördert», erzählt Schibler. Unmut lösten die Aktivitäten oft auch bei der Kirche aus, bisweilen drohte sie, den Geldhahn zuzudrehen. 

Noah lernt schwimmen

Der von Boldern angestrebte gesellschaftliche Wandel hatte Auswirkungen auf die Institution selbst. Die nun oft berufstätigen Frauen kon­zentrierten sich auf berufliche Weiterbildungen, zwischenzeitlich waren vier von sieben Mitgliedern im Zürcher Kirchenrat weiblich. 

Trotzdem ging es weiter. 2003 übernahm Tania Oldenhage. Als As­sistenzprofessorin in den USA tätig, war ihr die feministische Arbeit auf Boldern ein Begriff. In ihrem Büro lag das pinkfarbene Werkstattheft «Eva lässt sich scheiden und Noah lernt schwimmen».

Die Lücke bleibt

Oldenhage knüpfte an die feministische und interreligiöse Arbeit ihrer Vorgängerinnen an. Komplexe Themen wie Queer- und Gender­theorie kamen hinzu. Doch das Publikumsinteresse liess nach.

Während nach dem Aus 2012 andere Studienbereiche in die Gesamtkirchlichen Dienste übergingen, erhielten die feministischen Anliegen keinen strukturellen Platz. «Bis heu­te fehlen Stellen mit feministischer Theologie im Pflichtenheft», sagt Tania Ol­denhage.