Darf es auch ein bisschen weniger sein?

Markt

Wer ist der Markt? Welchen Regeln gehorcht er? Blick auf den König, der die Welt regiert.

Am meisten Spass gemacht hat das Ziehen am Chromstahlhebel, am fein gerilltem Knauf – und mit Kling und Schwung sprang die Geldschub­lade auf. Woher die alte, schwere Kasse kam, weiss ich nicht. Aber ich liebte sie. Zum Anschauen war sie völlig unattraktiv in ödem Graubeige. Aber haptisch und akustisch der Hammer. Und prägend in der Erinnerung, wie sie beigenweise selbst gemachte Noten mit bis zu zwanzig Nullen hütete. So machten wir ganz schön Kasse.

Geben und Nehmen als Spiel

Das Spiel faszinierte, das Nachahmen, die Imagination. Das Spielgeld, die leichten Alumünzen – noch mehr dann richtige Ein- und Zweiräppler, italienische Lire, deutsche Pfennige. Die Produkte, die Verkleinerungen, selbst gemachte Salzteiggemüse und -brote. Am tollsten war es, wenn alles echt aussah. Und nebst dem Nachahmen bestand unser Antrieb vor allem darin, zu bekommen, was Freude machte. Ans Existenzielle verschwendeten wir keine Gedanken. Fürs Befriedigen der Grundbedürfnisse sorgten die Eltern. Und einfach nur viel von etwas zu haben, war beim «Verkäuferlen» nicht das Wichtigste.

Bald aber trat genau das in den Vordergrund – im Spiel und im Ernst. Schneller sein, mehr Punkte haben, besser sein: Der Wettbewerb prägt Spiel, Sport und Schule. Und klar wurde zuerst mit Sackgeld und dann mit Ferienjobs: Habe ich mehr Geld, kann ich mir selbst mehr Wünsche erfüllen. So katapultierte mich die Steigerung von Fr. 8.75 pro Stunde auf fast 20 Franken nur wenige Jahre später fast schon in Dagobert Ducks Sphären.

Die pure Freude am Erwerb von etwas Neuem: Dieses Gefühl kennen wir wohl alle. Ein Online-Händler hat es in zugespitzter Form vor einiger Zeit in einer Kampagne zum roten Faden gemacht: das «Schreien vor Glück». Und auch das Verkaufen fühlt sich gut an: Erzielen die Zinnsoldaten des Urgrossvaters auf einer Auktionsplattform einen guten Preis, sind wir zufrieden. Erhalten wir eine Stelle, weil wir uns selbst gut verkauft haben, sind wir glücklich (im besten Fall).

Allmächtiger Markt

Meine ungebremste Freude an der Marktteilhabe ist mit der Zeit, der Erfahrung und dem Wissen aber un­terwandert worden. Viel dazu bei trägt eine grundlegende Einsicht: Markt ist überall. Alles Mensch­gemachte ist in einen Markt gebettet. Das Bett, in dem ich erwache; der Boden, den ich begehe und befahre; die Informationen, die ich am Bildschirm aufrufe; je nach Gebäude sogar die Luft, die ich atme: Irgendein Lüftungsbauer hat einen Installateur und dieser den General­unternehmer oder die Bauherrschaft überzeugt, dass genau dieses Produkt hier das richtige ist.

Markt herrscht bei Lebensmitteln, Medien, Finanzen. In der Gesundheit, physisch und psychisch, und ebenso in Beziehungen. Und es kann Schwindel bis Übelkeit verursachen, Tatsachen zu lesen wie im Buch «Wem gehört die Welt?» des Wirtschaftsjournalisten Hans-Jürgen Jakobs: Vieles bestimmen nicht Staaten, politische Bündnisse oder Non-Profit-Organisationen. Richtig viel zu sagen haben wenige riesige Vermögensverwalter, Staatsfonds und Digitalkonzerne. Es stimmt pes­­simistisch zu sehen, dass ein zentrales menschliches Bedürfnis offenbar doch das Mehr-Haben ist: mehr Geld, Gadgets, mehr Macht, Einfluss, Dominanz. Dabei bräuchten wir so wenig wirklich. Dafür eher mehr von etwas, das nichts kostet: Zuwendung.

Doch was kann ich Würstchen im Markt denn schon bewirken? Jüngst erfuhr ich es im Quartierladen. Die Inhaberin stellte auf meinen Wunsch zwei neue Biersorten ins Regal. Das macht die Welt zwar auch nicht unbedingt bes­ser. Aber eine kleine Marktmacht zu sein, macht mich glücklicher, als mehr zu haben.