Mirjam Hauser, Wirtschaftspsychologin, Senior Research Manager GIM Suisse, Zürich:
«Im Alltag sind wir halt etwas überfordert»
Wer als Kunde und Kundin Einfluss nehmen will, muss den Verstand einschalten, sagt Mirjam Hauser.
«Wir beeinflussen mit unseren Bedürfnissen den Markt, der die passenden Angebote kreiert. Umgekehrt kann der Markt aber auch ein Produkt entwickeln, von dem ich noch gar nicht weiss, dass ich es haben will. Das neue Angebot muss allerdings schon einen Nerv treffen, damit mein Bedürfnis geweckt werden kann.
Als Konsum- und Trendforscherin gehe ich davon aus, dass Unternehmen auf die Wünsche der Konsumenten eingehen wollen, sonst könnte ich meinen Job an den Nagel hängen. Tun sie es nicht, springt ein anderer in die Nische. Oft sind dies kleine Unternehmen, die rasch reagieren und genau das anbieten, was fehlt. Wird die Nachfrage nach dem neuen Produkt grösser, passen auch die etablierten Unternehmen ihr Angebot an.
So funktioniert der freie Markt idealerweise. Aussenseiter kommen zum Zug, weil sie ein Bedürfnis neu und besser erfüllen. Immer ist dies nicht der Fall. Man hätte etwa erwartet, dass im Zug der Finanzkrise alternative Unternehmen Fuss fassen oder bestehende Nischenanbieter stärker würden. Das ist kaum passiert.
Hinzu kommt: Je komplexer der Produktionsweg einer Ware oder die Bedingungen einer Dienstleistung sind, desto schwieriger ist es, zu entscheiden, was meinen Ansprüchen oder Werthaltungen am meisten entspricht. In Bezug auf Information herrscht eine klare Machtasymmetrie zwischen dem Käufer und dem Produzenten. Mit neuen digitalen Technologien, die eine umfassende Nachverfolgung von Produkten ermöglichen, wird sich dies jedoch ändern.
Doch bewusste Kaufentscheide sind anstrengend, es sei denn, man orientiert sich primär am günstigsten Preis, wie dies bei Lebensmitteln etwa ein Drittel der Schweizer Konsumenten tun. Die Wirtschaft appelliert gezielt an unser erstes schnelles Denken, mit dem wir uns intuitiv durch den Alltag bewegen. So funktionieren etwa knallige Aktionen. Will man sich diesem Einfluss entziehen, muss man den Verstand einschalten. In der Hektik unseres Alltags sind wir damit aber häufig überfordert.»
Aufgezeichnet: Christa Amstutz
Rolf Buser, Ökonom, Unternehmer, erster Geschäftsführer Max Havelaar Schweiz:
«Manager horchen bei Kampagnen schon auf»
Was die Kundschaft und die Öffentlichkeit wünschen, ist den Konzerleitungen nicht egal, weiss Rolf Buser.
«Die Konsumenten unterschätzen ihre Marktmacht. Vielen ist nicht bewusst, wie besorgt die Wirtschaft um Ruf und Image ist. Das habe ich als erster Geschäftsführer von Max Havelaar mit den Verantwortlichen des Detailhandels eindrücklich erlebt.
Der Gründung des Fairtrade-Labels vorangegangen war eine breit abgestützte Kampagne, die ich 1991 im Auftrag von Schweizer Hilfswerken realisierte. Das Ziel war, bei Migros und Coop fair produzierten Kaffee in die Regale zu bringen. Wenn eine Kampagne gut abgestützt ist in der Zivilgesellschaft, wenn es gelingt, die Medien einzubeziehen und eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, kann vieles bewirkt werden.
Allein schon durch unser Kaufverhalten nehmen wir Einfluss auf den Markt. Wenn ich die günstige Schokolade einem vergleichbaren Markenprodukt vorziehe, ist mein Statement: ‹Mir ist der Preis wichtig.›
Über diesen ‹stillen› Einfluss hinaus kann man sich bei einem Unternehmen aktiv für die Einführung oder Absetzung eines Produkts, für oder gegen eine Geschäftspraktik einsetzen. Manchmal sorgen schon zwei Dutzend Kundenmeldungen für Aufmerksamkeit in den Chefetagen.
Organisiert man eine Briefkampagne, und sei es erst mal nur unter ein paar Vereinen, wird die Botschaft lauter. ‹Wir müssen davon ausgehen, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist und sehr viele Kunden genauso denken›, sagte während der Fairtrade-Kampagne ein Manager der Grossverteiler zu mir.
Was man nicht vergessen sollte: Die Chefs sind auch Bürger, Nachbarinnen, Väter, Mütter und selber Konsumenten. Wenn ihre Firma gewisse Forderungen erfüllt, kann das für sie privat ein Gewinn sein.
Wenn man noch lauter wird, eine richtige Kampagne startet und die breite Öffentlichkeit erreicht, ist die Wirkung entsprechend grösser. Das kann auch indirekt funktionieren, indem man Organisationen unterstützt, die sich für dieselben Anliegen einsetzen – günstigere Preise, Tierschutz oder mehr Kontrolle über internationale Konzerne.
Und nicht zuletzt beeinflussen wir auch als Stimmbürger und Stimmbürgerin die Entwicklung des Marktes. Denn dieser wird mitgestaltet über Verordnungen und Gesetze, welche auf politischem Weg durchgesetzt werden.»
Rolf Buser