Wer ist der Markt?

Markt

Bio-Landwirtin Sarah Dähler und Wirtschafts-Professor Thomas Rudolph über das Wesen des Marktes.

Sarah Dähler, Bio-Landwirtin und Marktfahrerin, Seftigen:

«Unser wichtigstes Gut ist der Boden»

Vom Anpflanzen bis zum Endverbraucher: Alles liegt in Sarah Dählers Hand. Winters ist es komplizierter.

«Der Markt ist für mich der Kunde auf der einen und der Direktvermarkter auf der anderen Seite. Und der Kunde bestimmt weitgehend, was wir auf dem Markt anbieten. Natürlich entscheiden wir mit: Wir betreiben acht Märkte mit Standardgemüse wie beispielsweise Blumenkohl, Fenchel, Broccoli und saisonalen Spezialitäten. Aber wir können nicht anbieten, was kaum jemand kauft.

Im Winter kommen zusätzlich Grossverteiler und Zwischenhändler ins Spiel. Während einem bis zwei Monaten stammt die Ware gegen 80 Prozent nicht von unseren eigenen Feldern. Manches kann man während des Winters einfach nicht in der Schweiz produzieren. Im Som­mer stammen aber etwa 70 Pro­zent aus eigenem Anbau.

Ein wichtiger Teil des Marktes ist aber auch die Qualitätskontrolle. Wir müssen dem Kunden garantieren können, dass unser Gemüse tatsächlich biologisch ist, auch wenn es aus Italien, Spanien oder Frankreich stammt. Dies geschieht mithilfe einer Nachverfolgungsnum­mer. Auf diese Weise kann jedes Produkt bis zum Anbaubetrieb überprüft werden.

Das Spiel von Angebot und Nach­frage ist nicht immer einfach. Früher wäre es niemandem in den Sinn gekommen, an Weihnachten nach Erdbeeren zu fragen. Heute kann das passieren. Aber wir weigern uns weiterhin, das anzubieten. Ein anderes Beispiel: Die schlechte Apfel­ernte trieb diesen Winter die Preise in die Höhe. Schon im Einkauf hätten wir einen hohen Preis bezahlt. Das lohnt sich dann kaum mehr, weil es mit unserer Mar­ge zu teuer wird für die Kunden. 

‹Den Markt› gibt es aber nicht. Es ist an jedem Ort anders. Auf dem Land würden die Kunden dem Kopf schütteln, wenn wir zum Beispiel Löwenzahn und Brennesseln anbieten würden. In der Stadt hingegen wird das sehr wohl gekauft.

Anders als biologisch zu produzieren kommt für uns nicht infrage. Ich mache das nun in der vierten Generation, seit jeher bewirtschaften wir unsere Felder auf diese Weise. Schliesslich ist unser grösstes und wichtigstes Gut der Boden. Dazu müssen wir unbedingt auch in Zukunft Sorge tragen.»

 

Thomas Rudolph, Professor für Marketing und internationales Handelsmanagement, Uni St.Gallen:

«Die ganze Welt ist zum Marktplatz geworden»

Früher war der Markt Drehscheibe für vieles, heute ist seine Funktion reduziert, erklärt Thomas Rudolph.

«Man könnte die Frage ganz einfach betriebswirtschaft­lich beantworten: In einem Markt finden ein Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage sowie ein Austausch statt.

Beschreibt man Märk­te konkreter, ist ein zentraler Punkt die Veränderung. Früher war tatsächlich der ‹Märit› Drehscheibe für vieles – und das sind die heutigen Wochenmärkte teils immer noch: ein Zusammentreffen an einem Ort, es werden Produkte ausgetauscht, Ware gegen Geld – aber auch soziale Bedürfnisse wie Fürsorge und Beziehungen, Informationen, Meinungsbildung. Zudem geht es um Ablenkung vom Alltag. Dieser Markt war und ist insgesamt einzigartig, weil kaum geordnet, vielfältig, überraschend und alle Sinne ansprechend.

Heute gibt es erheblich mehr und ganz unterschiedliche Märkte. Und damit sind auch die grundsätzlichen Funktionen von Märkten reduziert worden: Es geht in erster Linie um den Austausch der dort angebotenen Waren und Dienstleistungen.

Die Erweiterung bringt uns vor allem Vorteile. Onlinemärkte zum Beispiel sind bequem: Sie sind rund um die Uhr geöffnet. Sie führen ein riesiges Angebot: Allein Amazon bietet 350 Millionen Artikel an. Sie sind günstig: Durch die Erweiterung des Marktortes auf die ganze Welt entsteht mehr Konkurrenz und damit auch ein grösserer Preisdruck. Sie sind transparent: Ein Bewertungssystem ist schon fast die Norm. Und die sozialen Funktionen können wir nach wie vor auf herkömmlichen Märkten finden.

Damit ein Markt Erfolg hat oder überhaupt erst zustande kommt, braucht es zunächst überhaupt die Chance, dass sich Angebot und Nach­­frage treffen. Weiter spielt der Verhandlungsmechanismus eine Rolle: Je näher sich Angebot und Nachfrage sind, desto eher funktioniert ein Markt. Zudem muss er bekannt und der Transfer der Tauschgüter möglichst sicher sein.

Ein Markt muss auch ein Gewissen haben: Bestehen keine fairen Bedingungen für einen sicheren Austausch, handelt also ein Marktbetreiber nicht nach ethisch ak­zeptierte Prinzipien, wird er nicht lange bestehen – denn auch die Auswahl an Märkten ist heute gross.»