Schwerpunkt 25. April 2018

Welche Regeln braucht der Markt?

Markt

Ökonom Rudolf Strahm und CEO Antoinette Hunziker-Ebneter über Rahmenbedingungen für Märkte.

Rudolf Strahm, Ökonom, ehemaliger Preisüberwacher, Herrenschwanden:

«Der freie Markt ist effizient, aber nicht gerecht»

Für den Marktfrieden braucht es den richti­gen Mix aus Markt­freiheit und staatlichen Leitplan­­ken, so Rudolf Strahm.

«Freier Markt ohne staatliche Leitplanken kann menschenfeindlich, umweltzerstörend oder sogar kri­minell werden. Umgekehrt führt die Unterbindung jeden Wettbewerbs im Markt zu bürokratischer Willkür und Konsumentenverachtung.

Güter, die alle brauchen, wie Strom, Wasser, Gas, Bahn, sind leistungsgebundene technische oder natürliche Monopole. Hier sind Preisüberwachung und Sicherstellung der landesweiten Versorgung öffentliche Pflicht. Auch der Service public von Spitälern, Heimen, Schulen, Entsorgung, neutraler Information und öffentlicher Ordnung muss gesteuert werden, damit die Verteilung gerecht bleibt.

Ein zweiter Bereich, der nicht sich selbst überlassen werden darf, betrifft die Umwelt. Die freien Markt­­preise widerspiegeln die ökologische Wahrheit nicht. Wer Heiz­öl und Treibstoff verbrennt, schädigt bei anderen die Lebensqualität. Diese externen Kosten müssten die Verursacher selbst tragen. Der Markt muss ökologisch ge­steuert werden.

Nicht zuletzt sind auch auf dem Ar­beits­­markt öffent­liche Leit­planken nötig. Der freie Markt würde angesichts der weltweiten Migration zu Ausgrenzung und Verarmung von Schwächeren im Inland führen. Aus diesem Grund braucht es Lohnschutz, Arbeitsschutz, soziale Sicherung. Und auch mehr Schutz vor Verdrängung und Lohndruck durch die Personenfreizügigkeit.

Für alle Teilmärkte gilt: Marktwirtschaft erfordert Markttransparenz für alle. Das heisst: Vergleichbarkeit der Produkte und Preise, Produktehaftpflicht, Rückverfolgbarkeit, Konsumentenschutz. Wo die Transparenz fehlt, wie neuerdings im Internet-Kryptomarkt mit Bitcoin und Co., wird der anonymisierte Markt schnell einmal zum Tummelfeld von Kriminellen.

Die Kunst der Wirtschaftspolitik ist, den richtigen Mix von Marktfreiheit und staatlichen Leitplanken zu finden. Sowohl die neoliberalen Marktfundamentalisten wie auch die Totalverächter des Marktes sind Sektierer. Beide Haltungen zerstören den Frieden in der sozialen Marktwirtschaft.»

Rudolf Stahm

 

Antoinette Hunziker-Ebneter, CEO «Forma Futura Invest», Zürich:

«Regeln allein reichen im Finanzmarkt nicht aus»

Nebst Regeln braucht es für Antoinette Hunziker auch informierte Ak­tionäre, die nicht nur an ihren Profit denken.

«Als grundsätzlich liberal eingestellter Mensch befürwortete ich lange Zeit das Prinzip der Selbstregulierung des Marktes. Jedoch hat dieses in der Finanzindustrie kläg­lich versagt. Meine Erfahrung als Börsenchefin hat mir gezeigt, wie wichtig Regeln sind. Sie sollten jedoch mit angemessenem Aufwand umsetzbar sein. Und wer sie nicht einhält, muss dann auch wirklich sanktioniert werden.

Es ist beispielsweise unabdingbar, Finanzinstitute darauf zu überprüfen, ob sie genügend Eigenkapital und Liquidität haben. Die Vorschriften für Eigenmittel­anforderungen sind im internationalen Regelwerk «Basel›  festgehalten. In ‹Basel I› hatten die Regeln, auf die sich die beteiligten Staaten verpflichten, noch Platz auf 20 Seiten, in ‹Basel II› auf 200, in ‹Basel III›  umfassen sie nun 600 Seiten.

Zu viele und zu komplexe Vorschriften, wie sie im Zuge der Finanzkrise 2008 mehr und mehr eingeführt wurden, sind in der Wirkung für den Endkunden nicht immer effektiv. Und ihre Umsetzung verursacht hohe Kosten.

Weil jedes Regelwerk, und sei es noch so feinmaschig, umgangen werden kann, sind die beteiligten Menschen mindestens so wichtig. Die Entscheidungsträger eines Unternehmens müssen professionell, verantwortungsbewusst und integer sein. Wenn Zweifel an diesen Qualitäten bestehen, kommt die Aktionärsdemokratie zum Zuge.

Auch die Aktionärinnen und Aktionäre als Eigentümer eines Unternehmens tragen Verantwortung. Diese können sie mit ihren Stimmrechten wahrnehmen. Bei den Entscheiden helfen unabhängige Abstimmungsempfehlungen, wie wir sie in unserer Vermögensverwal­tungsfirma erarbeiten. Man sollte etwa auf die Diversität im Verwaltungsrat, die Verhältnismässigkeit der Löhne und die Qualität der Nach­hal­tig­keits­­­­­berichterstattung achten.

Jeder Markt braucht Regeln. Damit er den Wohlstand und die Lebensqualität auch der nächsten Generationen fördert, braucht er aber vorab eines: Akteure auf allen Ebenen, die nicht nur den kurzfristigen Profit maximieren, sondern nachhaltig wirtschaften.»

Antoinette Hunziker-Ebneter