«Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne, die Sonne, die mir zugebracht, Licht, Leben, Freud und Wonne.» So dichtete der deutsche Theologe Paul Gerhardt (1607–1676) in seinem Lied «Ich steh an deiner Krippen hier». Mit der Todesnacht umschreibt er das Elend und Leid dieser Welt. Die Sonne jedoch, die «Licht, Leben, Freud und Wonne» bringt, steht in diesem Weihnachtslied für Jesus, der die düstere Welt mit göttlichem Leuchten erfüllt.
Helden des Lichts
Dass die Welt alles andere als perfekt ist und der Erlösung bedarf, lässt sich täglich feststellen. Als Lichtgestalten bezeichnen wir Menschen, die von ganzem Herzen dagegenhalten. Die es schaffen, mit ihrer Lebensführung, ihrem Reden und ihrem Handeln Licht ins Dunkel zu tragen.
Die Lichtgestalt ist ein eigentlicher Archetypus mit klarem Profil: in ein helles, wallendes Gewand gehüllt und spirituell erleuchtet, so stelle ich sie mir gerne vor. Sie ist von Gott gesegnet, moralisch integer, friedliebend, beherzt und wortgewandt, setzt sich unentwegt für die Anliegen der Armen, Entrechteten und Verfolgten ein, ohne sich selbst zu schonen und ohne jemals den Hass der Herrschenden zu fürchten.
Zentral ist die Nachfolge
Das Licht, das diese Heilsgestalten wie eine Gloriole umgibt, verleiht ihnen jedoch etwas Unwirkliches, Entrücktes, Klischeehaftes. Zu viel Licht kann blenden und den Blick auf das Wesentliche verstellen. Das Wesentliche bringt Jesus, die Ur-Lichtgestalt des Christentums, auf den Punkt: «Ich bin das Licht der Welt. Wer mir folgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern das Licht des Lebens haben» (Joh 8,12).
Wenn sich Jesus als das Licht der Welt bezeichnet, tut er dies in jenem Geist, den er im zweiten Satz verdeutlicht: im Geist der Nachfolge. So, wie Jesus seinem göttlichen Vater nachfolgt, sollen die Menschen Jesus nachfolgen und ebenfalls etwas vom «Licht des Lebens» in die Welt tragen, verkündigend, helfend, teilnehmend.
Die Apostel, allen voran Paulus, sind diesem Aufruf gefolgt. In späteren Generationen Hildegard von Bingen, Franz von Assisi, Niklaus von Flüe, Huldrych Zwingli, Mutter Teresa und viele andere. Sie alle gelten als klassische Lichtgestalten, als Leuchttürme des Christentums, als Träger des göttlichen Feuers. So sehr, dass sie in der Vorstellung der Mit- und Nachwelt zu makellosen Gestalten geworden sind, unfehlbar und entrückt in den Himmel der Heiligen.
Schatten gehört dazu
Dieser verklärte Blick auf die Botinnen und Boten des Lichts ist verfehlt. Denn auch sie wandelten zuweilen im Schatten. Paulus war kein einfacher Zeitgenosse, streitbar, manchmal polemisch und tendenziell körperfeindlich. Zwingli liess zu, dass Zürcher Täufer zum Tod verurteilt wurden, und Mutter Teresa zweifelte an der Existenz Gottes: «Dunkelheit umgibt mich auf allen Seiten. Meine Seele leidet. Vielleicht gibt es gar keinen Gott. Ich spüre eine unendliche Sehnsucht, an ihn zu glauben. Aber wenn es keinen Gott gibt – Himmel, was für eine Leere!»
Menschliches Mass
Die Dunkelheit, von der Mutter Teresa in einem ihrer Briefe berichtet, ist keiner Lichtgestalt fremd. Sogar Jesus hatte seine Schattenmomente, seine Anfechtungen, Unduldsamkeiten und Augenblicke des Zorns. Das macht ihn, das macht alle Lichtgestalten menschlich.
In seinem Lied «Fröhlich soll mein Herze springen» dichtet Paul Gerhardt: «Gott wird Mensch, dir, Mensch, zugute». In Jesus zeigt sich das Heilige ganz als Mensch, und wer ihm nachfolgt, braucht ebenfalls kein Heiliger zu sein. Mensch genügt – als Träger eines Lichts, das wärmt, aber nicht blendet.