Schwester Chiara empfängt mich am schmiedeeisernen Tor zum Garten. Dahinter beginnt die Klausur des Frauenklosters. Normalerweise erhält man hier keinen Zutritt. Doch die Klostergärtnerin führt lächelnd hinein in ihr Reich, zuerst zu den Gemüsebeeten.
Sie erklärt: «Wir sind Selbstversorgerinnen.» Die Kapuzinerinnen wissen, wie das geht: Der Fenchel gedeiht prächtig, trotz des verregneten Sommers. Die Schnecken sind unter Kontrolle. Lauch, Kabis, Broccoli oder Blumenkohl mögen das viele Nass. Aber den Gurken und Zucchetti fehlt momentan die Sonne. «Auch den Kräutern ist es zu kalt», sagt Schwester Chiara.
Altes Heilwissen in Fläschchen
In manchen Jahren zuvor haben die Schwestern Anfang August bereits drei- bis viermal geerntet, heuer konnten sie erst zweimal Pfefferminze oder Zitronenmelisse schneiden: zu wenig für Tinkturen oder Getränke. Im Klosterladen vertreiben die Kapuzinerinnen neben Leckereien und Likören auch eigene Heilmittel. Die Kundschaft kommt von weit her, um sich im Kloster Leiden Christi in Jakobsbad AI beraten zu lassen, wie sich Leiden lindern lassen. Das ist ganz im Sinn der Stifterin: Sie gründete 1853 «eine Stätte, in der Kranke Heilung und Traurige Trost finden» sollten.
Wir spazieren vorbei an Beeten voll Ageratum, Korn- und Ringelblumen. Letztere haben die Schwestern auch schon zu Salben und Tees für ihre Apotheke verarbeitet. «Wir brauchen aber sehr viel, darum kaufen wir die meisten Heilkräuter ein.» Die hübschen blauen Borretsch-Blüten kommen zur Zier in den Salat. Trotz Dauerschlechtwetter geht es den Schnittblumen für Haus und Kirche erstaunlich gut. Einzig bei den Sonnenblumen weist Schwester Chiara auf die braunen Blätter hin. «Das ist vom Regen.»
Die goldenen Sonnenblumenblüten sind für sie der wichtigste Kirchenschmuck: «Um den Schein weiterzugeben», wie sie es ausdrückt. «Der Herrgott ist doch wie die Sonne, aber noch viel leuchtender – und durch die Sonnenblume reichen wir seinen Schein weiter.» Sie sagt es so, als müsse das jedermann und jederfrau sofort einleuchten. Schon im Sonnengesang des Franz von Assisi klingt der Vergleich an: «Und schön ist er (der Herr Bruder Sonne) und strahlend in grossem Glanz: von dir höchster ein Sinnbild», so dichtete Franz. Und die Kapuziner versuchen, nach dem Vorbild des heiligen Franziskus zu leben.
Blüten als Lichtspeicher
«Es heisst ja: Der Herrgott und seine Kraft sind noch viel leuchtender als die Sonne. Wir wissen alle, wie blendend die Sonne ist und dass man nicht direkt hineinschauen soll», sagt Schwester Chiara. Die Sonnenblume vermittle diese kaum vorstellbare Strahlkraft. Nicht nur symbolisch: Die Blüte speichere regelrecht die göttliche Licht- und Leuchtkraft. «Die Mitte mit ihren nahrhaften Körnern ist Energiespeicher für verschiedenste Lebewesen.»