Die Aufklärer verstanden ihr Zeitalter als Zeitalter des Lichts. Ist es nun wieder dunkler geworden?
Christine Abbt: Immanuel Kant unterscheidet zwischen einem Zeitalter der Aufklärung und einem aufgeklärten Zeitalter. Einst wie heute müssen wir uns ständig um Aufklärung bemühen. Das ist anstrengend und bedeutet, den Prozess des Fragens und Infragestellens in Gang zu halten, sich nicht mit der ersten oder angenehmsten Antwort zufriedenzugeben, sondern auf der Suche zu bleiben.
Wissenschaft, Vernunft und Demokratie sind eng mit der Aufklärung verbunden. Jetzt, während der Pandemie, sind diese Begriffe allgegenwärtig. Wie erleben Sie dies?
Vieles war nach Ausbruch der Pandemie plötzlich anders. Spontane Begegnungen und auch ungehemmte Herzlichkeit und Körperlichkeit wurden seltener. Auch waren bald einmal unterschiedliche Einschätzungen festzustellen in Bezug darauf, wie mit dem Virus gesellschaftlich angemessen umzugehen sei.
Wissenschaft und Bildung halfen einst, die Demokratie zu etablieren. Im Zuge der Pandemie werfen Kritiker den Wissenschaftlern nun vor, die Demokratie zu gefährden.
Die Beziehung zwischen der Wissenschaft und der Demokratie ist spannungsreich. Während in den Demokratien Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Mehrheit zentral sind, richten sich die Wissenschaften an Werten wie Überprüfbarkeit und Konsistenz aus. Daraus können unterschiedliche Einschätzungen resultieren. Die Auffassung, dass Wissenschaftlerinnen die Demokratie gefährden, wenn sie sich einbringen, halte ich für falsch. Alle sollten ein Interesse daran haben, tragfähige Lösungen für zentrale Probleme zu finden. Es wäre für Demokratien gefährlich, wenn die Stimmen der Wissenschaft verstummen müssten, weil sie nicht das sagen, was gehört werden will. Umgekehrt wäre es problematisch, fraglos der Wissenschaft zu folgen. Politisch ist es richtig, alle Positionen, die an einer fairen Lösung interessiert sind, in den Entscheidungsprozess einzubeziehen.
Was kann das Erbe der Aufklärung in der Pandemie beisteuern?
Es verweist auf Gemeinsamkeiten, die sich trotz Differenzen ausmachen lassen. Viele wollen möglichst schmerzfrei leben und ihr Leben möglichst selbstbestimmt gestalten. Das ist eine tragende Grundlage. Die gesellschaftliche Spaltung wird heute von jenen befeuert, die eine Spaltung wollen, weil sie hoffen, davon politisch zu profitieren.