Sich Zeit lassen, bis das Licht fürs Bild stimmt

Licht

Thomas Flechtner arbeitet mit alter Technik. Auf grossformatigem Film hält er seine ungewohnten Bildideen von der Natur fest. Und er schätzt auch die Abwesenheit von Licht.

Er ist ein Fotograf der anderen Art. Er hält nicht am Rand des Fussballplatzes ratternd grosse Bildserien pro Match fest, hat kein Studio mit Blitzleuchten und Hintergründen, fotografiert nicht mit höchs­ter Auflösung und digitaler Nachbearbeitung kleinster Details Objekte für die Werbung.

Thomas Flechtner fügt sich nicht in das gängige Bild eines Fotografen. «Wenn ich zehnmal an einem Tag abdrücke, ist das viel», sagt der Zürcher im Gespräch per Videotelefon. Hin­­ter ihm ragt ein Bücherregal in die Höhe. Unsichtbar rund um sein Haus seien Luft, Licht und weiter Raum, wie er erzählt. Er lebe heute vor allem im französischen Zentralmassiv. «Wenn ich am Abend über den Pass hierherfahre und in der Nacht ankomme, ist da nur noch Schwarz. Kein Licht. Das gibt es in der Schweiz nicht mehr. Das schätze ich jedes Mal.»

Warten auf das Potenzial

Bei seiner Arbeit hingegen braucht Thomas Flechtner selbstverständlich Licht – in seinem Fall natürli­ches. Und wenn es nicht zu seiner Idee passt, nimmt er sich Zeit, bis es so weit ist. Die Blumenbilder, die dieses Dossier illustrieren, sind von 2003 bis 2006 entstanden, mit lang geöffnetem Verschluss in grellem Sonnenlicht.

«Es ist ein Versuch, das Phänomen zu verstehen: die Kraft, das Potenzial, das im Element Licht vorhanden ist», sagt Flechtner. Bei bewölktem Himmel wäre das nicht möglich gewesen. Doch mit diesem Licht und den Farben könne man vielleicht spüren, was für eine grosse Kraft in der Natur stecke. «Ich weiss nicht, ob ein Scheinwerfer im Studio dasselbe bewirken könnte. Ich bin skep­tisch.»

So kraftvoll blumig frisch diese Arbeit wirkt: Thomas Flechtner ist nicht bekannt für Kitsch. Er hat in La Chaux-de-Fonds fotografiert, im Winter, nachts, in Grau und Weiss und in eisiger Kälte. Er ist in den Bergen stundenlang gewandert mit einer Stirnlampe, stets auf leicht ver­­setzen Bahnen, und hat so in Lang­­­zeitbelichtungen mit Licht gemalt.

Er hat wintergesperrte Passstrassen fotografiert, die Betonstadt von Le Corbusier im indischen Chandi­­garh, weiter tote Frösche, spriessen­de Kar­­toffeln und immer wieder Gräser, Blätter, Bäume, Blumen in überraschenden Ansichten. Und dennoch sagt er: «Ein Sonnenauf- und -untergang, das hat eine besondere Kraft, das zieht mich in den Bann. Das ist ein Geheimnis, das mich immer berührt. Es ist für mich auch ein Akt der Demut zu spüren, dass es etwas Grösseres gibt.»

Kanäle von Energie

Zugleich sieht er das Licht auch als Mittel zur kreativen Manipulation. Speziell in der Architektur komme es auf diese Weise zum Zug, nicht zuletzt in Kir­chen und Tempeln. «Es kann die Wahrnehmung beeinflussen, bildet Kanäle von Energie», führt Thomas Flechtner aus.

Die ganzen Ab­stufungen sind im Regen viel detaillierter als im grellen Sonnenlicht.
Thomas Flechtner, Fotograf

Für seine eigene Profession und Passion findet er «Lichtmalerei» einen «sehr schönen Begriff». Der 61-­J­ährige ist für seine Arbeit auch bedachtsam wie ein Maler unterwegs. Die Ausrüstung wiegt schwer, mit Stativ, Grossformatkamera, Kassetten für jedes einzelne Negativ. Und die Ungewissheit, welches Licht tatsächlich festgehalten ist, kann etwa auf Reisen auch mal Monate dauern. Denn erst nach der Entwicklung im Schwarz der Dunkelkammer sieht er sein Werk.

Das latente Bild

Dieser ganze Prozess habe bei ihm eine meditative Qualität, die er in der digitalen Fotografie nicht finde, sagt Thomas Flechtner. «Einem Digital Native kann ich das gar nicht erklären, diese Spannung, das Geheimnis des latenten Bildes», sagt der Fotograf. Das sei es auch, was ihn bereits als Kind fasziniert habe. Durch den Mann seiner Patin kam er zur Fotografie, und schon als Zehn­jähriger entwickelte er im eigenen Labor Fotos. «Das wurde ­eine Passion, die mein Leben bereichert», sagt er heute.

Ein anderer Beruf wäre für ihn nie infrage gekommen. Und selbst im vielfältigen Berufsfeld Fotografie ging er von Anfang an einen kon­sequenten Weg. «Mich faszinier­te immer die Natur in allen Facetten. Porträts von Menschen zu machen, interessierte mich weniger.» Und ob­wohl er mit Schwarz-Weiss-Foto­­grafie aufgewachsen und ausgebil­det worden ist, sagt Flechtner: «Meine Welt ist farbig. Damit kann ich mich besser ausdrücken.»

Er geniesst das Trübe

Gerade darum freut sich der Fotograf über diesen trüben Sommer: «Es ist oft grau – das geniesse ich sehr. Die Grüntöne sind so vital und frisch. Die ganzen Abstufungen sind im Regen viel detaillierter als im grellen Sonnenlicht.»

Nicht funktioniert hätte damit aber seine Serie von Kartoffeln. Er baue schon jahrzehntelang Kartoffeln an, habe einfach Freude an den Sorten. «Dann bewahrte ich mal die lustigsten, schönsten, bizarrsten auf. Mit der Zeit malte ich sie golden an, und sie begannen wieder zu keimen, zu leben durch die Helligkeit», erzählt Flechtner. Doch das Bild, das er im Sinn hatte, entstand nur mit dem Sonnenlicht im Sommer am Mittag. So wartete er eben, bis das möglich war.

Trotzdem: Selbst der Analogfotograf findet am Smartphone etwas gut – dass er es als Notizbuch verwenden kann. «Und das Beste daran ist die Delete-Taste, eine sehr schöne Funktion.» Thomas Flechtner schmunzelt.

Thomas Flechtner, 61

Thomas Flechtner, 61

Der Fotograf aus Winterthur hat eine Stahlbauzeichnerlehre gemacht. So überbrückte er die Zeit, weil er sich erst im 18. Lebensjahr an der Vevey Ecole d’arts appliqués einschreiben konnte. Von Beginn weg konzentrierte er sich auf Landschafts- und Natur­fotografie im Kunstbereich. Er stellt im In- und Ausland aus und ist in öffent­lichen Sammlungen vertreten.