Meine Töchter im Teenageralter sagten kürzlich, sie glaubten nicht, dass sie das Jahr 2100 noch erleben. Wegen des Klimawandels sei die Erde dann unbewohnbar, es sei hoffnungslos. Was sagen Sie dazu?
Kurt Zaugg-Ott: Ich bin nicht hoffnungslos, aber auch nicht zu optimistisch. Hoffnung hab ich, weil sich viel verändert. Noch vor wenigen Jahren galt der Vorschlag, die Reduktion der CO2-Emissionen auf null in die Verfassung zu schreiben, als gefährliche Utopie. 2019 setzte der Bundesrat selbst das Ziel einer klimaneutralen Schweiz bis 2050. Das umzusetzen, ist eine enorme Herausforderung, weil mehr als die Hälfte der Energie, die wir heute verbrauchen, fossilen Ursprungs ist. Aber wir haben die finanziellen Mittel und die technischen Voraussetzungen, um das umzusetzen.
Aber die Zielgerade ist noch norm weit entfernt.
In Wirtschaft und Gesellschaft bewegt sich viel. Ich hoffe, es ist wie beim Klimawandel: Ist er mal in Bewegung, lässt er sich kaum stoppen. Wir haben die Klimawende angestossen, Nachhaltigkeit ist für Firmen zur Imagefrage geworden. Sonnen- und Windenergie sind konkurrenzfähig. In wenigen Jahren werden sich erneuerbare Energien am Markt definitiv durchsetzen. Die Zielgerade mag weit weg erscheinen. Mit der Umsetzung müssen wir aber heute anfangen. Ein Bewusstseinswandel ist nötig – auf allen Ebenen.
Ist Nachhaltigkeit für die meisten Unternehmen nicht bloss ein Marketingbegriff voll warmer Luft? Nein, viele Firmen setzen sich selbst Klimaziele, darunter grosse Akteure wie etwa Swiss Re, Migros und Coop. Unsere Infrastruktur basiert immer noch stark auf Erdöl und lässt sich nicht von heute auf morgen umbauen. Und die Erdöllobby wirbt noch immer mit der Zuverlässigkeit des Öls, doch ist sie in der Defensive. Alle, die mit einem fossil betriebenen Auto unterwegs sind oder mit Öl heizen, sind Teil dieses Systems und müssen sich damit auseinandersetzen. Die Schweiz tut sich schwer mit Vorschriften, wie wir in der Pandemie sehen. Dennoch haben sich viele Akteure aus eigener Initiative auf den Weg gemacht.
Und? Werden wir es schaffen?
Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Es gibt viele Unbekannte, sowohl was das Klima betrifft als auch die gesellschaftliche Dynamik. Ich fürchte aber, dass wir nahe an den klimatischen Kipppunkten sind und das Tempo stark erhöhen müssen, um die Wende hinzubekommen.
Die Schweiz konnte ihre Klimaziele bisher nur mit CO2-Kompensationen im Ausland einhalten.
Klar ist: Wir müssen mehr tun, und es müssen alle Länder mitziehen. Die EU ist gespalten, aber durchaus aktiv, ebenso die USA unter Joe Biden. Auch China weiss, dass es nicht ewig auf Kohle setzen kann. Ob es allerdings schnell genug gehen wird, können wir vermutlich erst im Nachhinein sagen.
Manchen Leuten fällt es einfach, umweltbewusst zu leben, für die Mehrheit gilt jedoch «Nach mir die Sintflut». Wie erklären Sie das?
Das ist die Macht der Gewohnheit. Und es liegt auch daran, dass wir hier die Dringlichkeit noch zu wenig spüren. Ich ärgere mich immer wieder über Politiker, die sagen, die Schweiz sei ökologisch auf gutem Weg. Das ist Unsinn. Wir leben auf viel zu grossem Fuss und belasten die Umwelt weit über die Schweiz hinaus. Der Bundesrat müsste Klartext reden und sagen: Wir haben ein ernstes Problem, und wir müssen es angehen! Die Dringlichkeit ist in anderen Ländern längst spürbar. Aber auch wir erleben die Folgen der Klimaerhitzung.
Welcher Stellenwert hat der Umweltschutz in der Kirche?
Die Kirche ist ein Abbild der Gesellschaft. Es gibt einen eher beharrenden Flügel und einen ökologisch gesinnten, der gern schneller vorwärtsmachen würde. In vielen Gemeinden geht was. An der Klimademo 2019 rief die Oeku die Kirchen auf, die Uhren auf 5 vor 12 zu stellen und die Glocken zu läuten. 200 Kirchgemeinden machten mit. Das ökologische Netzwerk, das wir seit Jahren mit der Aktion Schöpfungszeit, dem Umweltmanagement sowie unseren Energiekursen aufbauen, trägt Früchte. Auch die Kantonalkirchen reagieren. Etwa in Zürich: Jahrelang gab es ein bisschen Geld für die Oeku, mehr passierte nicht. Jetzt steht ökologisches Handeln in den Legislaturzielen der Landeskirchen. Die Oeku hat nun den Auftrag, Kurse in Umweltmanagement zu geben für alle Kirchgemeinden.
Die Dringlichkeit dürfte mit dem Sanierungsbedarf vieler Kirchen Aufschwung bekommen haben.
Das spielt sicher mit. Das Umweltmanagement geht jedoch weiter. Die ökologische Belastung einer Kirchgemeinde soll insgesamt sinken: Das geht bis hin zur Frage, wann überhaupt geheizt werden soll. In Deutschland sind bei Gottesdiensten maximal 16 Grad empfohlen, in der Schweiz 18 Grad. In Südeuropa kommt niemand auf die Idee, eine Kirche zu heizen, weil es schlicht zu teuer ist. Aber wir können es uns leisten mit dem Argument einer «behaglichen Kirche».
Wäre die Kirche nicht eine ideale Botschafterin für die Klimawende? Eine sorgsame Lebensweise passt doch gut in eine spirituelle Institution? Die Reformierten kehren gern Bescheidenheit heraus.
Ich möchte die Konfessionen nicht gegeneinander ausspielen, aber aus den Energiekursen wissen wir, dass so manche Katholiken ihren Gemeindemitgliedern mehr zumuten als wir Reformierten. Zur Frage der Spiritualität: Wir versuchen seit der Einführung der Schöpfungszeit 1993 zu vermitteln, dass wir ein Teil der Schöpfung sind und uns deshalb in sie einfügen sollten. Und diese Spiritualität lässt sich mit praktischen Tipps kombinieren: nicht nur predigen, sondern konsequent leben. Aber die Umsetzung ist oft schwierig, auch bei politischen Fragen. Die Kirchen tun sich mit Abstimmungsempfehlungen schwer, obwohl gewisse Positionsbezüge sich vom Evangelium her aufdrängen.
Ökologisches Handeln wird immer noch parteipolitisch verstanden.
Ja, und das macht es schwieriger, eine Haltung vorzuleben. Zudem muss die Kirche natürlich glaubwürdig sein. Sie kann nicht etwas predigen, was sie selbst nicht lebt.