Schwerpunkt 09. Februar 2017, von Stefan Schneiter

«Ich kann nicht bloss herumstehen»

Inklusion

Der Autist Daniel Blickensorfer arbeitet voller Engagement in einer Wertstoffsammelstelle. Einigen Defiziten zum Trotz wird er von seinem Arbeitgeber geschätzt.

Bitterkalt ist es an diesem Morgen in Hinwil. Draussen liegt Schnee, der feuchtfrostige Nebel zieht in die hintersten Winkel der Wertstoffsammelstelle der Keller Recycling AG. Alle Angestellten schützen sich mit Mützen und Handschuhen gegen die bittere Kälte. Auch Daniel Blickensdorfer. Der 34-jährige packt energisch an. Er steht in einer grossen Metallmulde, greift sich sperrige Metallabfälle und platziert sie so, dass der vorhandene Raum in der Mulde bes­ser ausgenutzt wird. «Wenn man es von Anfang an richtig machen würde, hätte man nicht solch ein Puff.» Der Autist, der seit drei Jahren im Betrieb arbeitet, verfügt über einen ausgeprägten Ordnungssinn. Wird unnötig Platz verschwendet in einer Abfallmulde, so ärgert ihn das. Entsorgen Menschen ihre Abfälle nicht korrekt, werfen etwa Aludosen und Blech­büchsen in die selbe Mulde, dann kann er sie schon zurechtweisen, mitunter auch schroff. Und Sauberkeit muss sein. Mehrfach täglich wischt er den Boden in der Halle. Auch wenn dies an diesem Ort nur beschränkt Sinn macht.

Doch Daniel Blickensdorfer muss anpacken. «Ich kann nicht einfach bloss herumstehen. Larifari ist nichts für mich. Wenn ich nicht arbeiten will, kann ich ja gleich zu Hause bleiben.»

Gute Stimmung. Das Zuhausebleiben sei in der Tat nicht gut für ihn, sagt Joel Keller. Daniel wolle und müsse arbeiten. Der Geschäftsführer hat in seinem Betrieb mit 32 Angestellten 8 Menschen mit Beeinträchtigungen angestellt. Daniel Blickensdorfer arbeitet achtzig Prozent und erhält dafür fünfzig Prozent Lohn, die andere Hälfte bezieht er IV-Rente. Joel Keller gibt Menschen mit Handicap bewusst eine Chance. Auch wenn der zeitliche Aufwand für diese von Betriebsseite her etwas grösser sei. An Blickensdorfer schätzt Keller dessen starkes Engagement bei der Arbeit. Er bringe auch immer wieder gute Stimmung ins Team. Dieses lerne dank dem Umgehen mit ihm in Sachen Sozialkompetenz viel.

Nicht nur Rendite. Blickensdorfer presst nun Kartons in einer Maschine. Jack Keller, der vor einigen Jahren die Betriebsleitung an seine Söhne abgetreten hat, steht neben ihm und lobt ihn für die richtigen Handgriffe beim Zusammenbinden der Kartonware. «Das vergisst er immer mal wieder, obwohl ich es ihm schon wiederholt gezeigt habe. Man muss ihn eben nehmen, wie er ist», erklärt Keller. Wichtig sei, immer wieder zu loben und zu motivieren. Dann könne man auch mal etwas kritisieren, wenn er den Kopf nicht recht bei der Sache habe. Jack Keller erachtet es als wichtig und richtig, dass ein hierfür geeigneter Betrieb wie eine Recyclingsammelstelle seinen Teil dazu beiträgt, Menschen mit Beeinträchtigungen in den Arbeitsmarkt zurückzuführen. «Das oberste Gesetz kann nicht nur die Rendite sein.»

Leistung eingefordert. Ist Daniel Blickensdorfer in eine Arbeit vertieft, erträgt er es nicht, wenn ihn ein Arbeitskollege plötzlich davon wegholt, damit er irgendwo anders aushilft. Er muss geordnet eine Arbeit nach der andern ausführen können, darf sich nicht gehetzt fühlen. Auch jegliche Form von Reizüberflutung ist nichts für ihn. Dass er am Asperger Syndrom leidet, realisiert er. «Behindert bin ich eigentlich nicht. Aber beim Denken merke ich schon, dass etwas nicht so gut ist.» Auch regt er sich sehr schnell auf, obwohl es, wie er selber beteuert, oft gar nichts zum Aufregen gibt.

Laut Joel Keller rechnete sich die Anstellung von Daniel Blickensdorfer in betriebswirtschaftlicher Hinsicht «nur zum Teil». Doch er schätzt ihn als Mit­ar­beiter, der insgesamt motivierter sei als andere. So muss man ihn etwa zwangsweise in die Ferien schicken oder am Abend oftmals nach Hause. Dem steht auf der Negativseite ein Mehraufwand bei Arbeitsinstruk­tionen gegenüber, ebenso seine Stimmungsschwankungen wegen Depressionen sowie Unzuverlässigkeiten wegen Alkohol. Joel Keller aber fordert, bei allem Verständnis, das er Menschen mit Handicap entgegenbringt, Leistung ein: «Jeder Mensch ist lernfähig. Auch Daniel muss Fortschritte in allen Arbeitsprozessen machen. Das verlange ich von ihm».