«Herr Müller, es tut mir leid, ich habe keinen guten Bericht für Sie. Wir haben in der Gewebsentnahme bösartige Zellen gefunden. Das bedeutet, Sie haben Krebs.» Mit diesen oder ähnlichen Worten hat Sabina Hunziker Schütz Menschen schon oft schwerwiegende Diagnosen mitgeteilt. Diagnosen, die das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen schlagartig verändern.
Grosse Verantwortung
Jetzt sitzt Sabina Hunziker in ihrem kleinen Büro am Basler Unispital und erzählt aus ihrem Alltag. «Menschen in Notsituationen sind sehr verletzlich. Darum ist es sehr wichtig, wie man ihnen schlechte Nachrichten mitteilt, man trägt eine grosse Verantwortung.»
Diese Haltung vermittelt die Professorin für medizinische Kommunikation auch an Medizinstudierende. Die 47-Jährige wirkt zugänglich und unkompliziert. Den Kaffee für das Gespräch holt sie gleich selbst im Büro nebenan. Dass sie sich in Menschen einfühlen kann, ist leicht vorstellbar. «Die menschliche Ebene war mir nebst der fachlichen Kompetenz schon als ganz junge Ärztin wichtig», bestätigt sie.
Moment, der sich einbrennt
Heute arbeitet sie als stellvertretende Chefärztin der psychosomatischen Abteilung mit Patienten und Patientinnen, die schwer krank oder auf der Intensivstation waren, oder mit deren Angehörigen. Bis 2016 führte sie als Oberärztin der Inneren Medizin und auf der Intensivstation viele Gespräche am Lebensende oder in Situationen zwischen Leben und Tod.
Hunziker erklärt: Egal, ob jemand Krebs, eine Herzerkrankung oder Multiple Sklerose habe, der Moment der Diagnose brenne sich ein. «Die Worte von uns Ärztinnen und Ärzten markieren den Beginn einer einschneidenden Lebensveränderung.» Damit im Gespräch der Patient im Zentrum steht, braucht es Vorbereitung. Ein klarer Ablauf hilft dabei.
Vertrauensvolle Atmosphäre
Zunächst muss im Spitalalltag ein Ort für eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen werden, der möglichst viel Privatsphäre zulässt. Der Arzt oder die Ärztin muss alle Befunde kennen. Dann gilt es im Gespräch herauszufinden, was Patient und Angehörige schon wissen, um dort anknüpfen zu können.
Beim Mitteilen der Diagnose ist zentral: «Ich muss kurz, verständlich und klar sprechen, ohne zu beschönigen im Sinn eines vorschnellen Trosts», betont Hunziker. Beschönigen sei kontraproduktiv, Menschen fühlten sich dadurch nicht ernst genommen, wie auch Studien belegen. Dann folgt gemäss der Ärztin der schwierigste Teil. Er besteht darin, die meist emotionalen Reaktionen der Patienten zuzulassen.
Hunziker sagt: «Mein Gegenüber muss die Fassung verlieren dürfen und sich aufgehoben fühlen.» Sie erzählt von Patientinnen und Patienten, die sich abwenden und wegschauen, weinen oder in seltenen Fällen schreien. «Das zuzulassen, ist ein Zeichen von Respekt. Ich habe mit Patienten schon minutenlang geschwiegen.» Erst wenn das Gegenüber seine Fassung wiedergewonnen hat und etwa Fragen stellt wie «Was heisst das jetzt?», kann sie Wissen vermitteln und das weitere Vorgehen klären.
Auch ein Handwerk
Dass sich ein gutes Gespräch zwischen Arzt, Patient und Angehörigen lohnt, ist auch wissenschaftlich bewiesen. Es hilft zum Beispiel Angehörigen von unheilbar erkrankten Menschen auf der Intensivstation, das Erlebte zu verarbeiten. Eine Untersuchung belegte, dass Angehörige nach Gesprächen mit einer proaktiven, also vorausplanenden Kommunikationsstrategie weniger Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung zeigten. Sie hatten weniger Angst und Depressionen und brauchten entsprechend weniger psychologischen Support und Psychopharmaka.
Die Ärztin ist überzeugt, dass solche Gespräche erlernbar sind. «Zum Teil mögen sie Begabung sein, vor allem aber sind sie auch Handwerk», sagt sie. An der Uni Basel werden Medizinstudierende vom ersten bis zum sechsten Jahr darin geschult. Theoretisch, aber auch praktisch, etwa in Rollenspielen. Dieses «longitudinale Curriculum» ist schweizweit einmalig.
Immer weniger Zeit für Gespräche
Für Hunziker ist es ein Stück weit Routine geworden, mit Patientinnen und Patienten über Leben und Tod zu sprechen. «Das heisst aber nicht, dass es mich nicht berührt», betont sie. Etwa wenn Kinder im Spiel seien, gehe es ihr nahe, so die zweifache Mutter. Es sei aber wichtig, als Ärztin nicht die Fassung zu verlieren. «Das verhindert eine professionelle Betreuung.»
Heute bemüht sich die Medizin viel stärker als früher um die Kommunikation. Gleichzeitig haben Ärztinnen und Ärzte wegen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens immer weniger Zeit für Gespräche. Sabina Hunziker stellt klar: «Trotzdem müssen wir auf die Patienten eingehen können. Auch wenn es nicht um lebensbedrohliche Diagnosen geht, erinnern sie sich zum Teil bis an ihr Lebensende an unsere Worte.»