Schwerpunkt 25. Oktober 2023, von Hans Herrmann

Von der Entstehung bis zur Bewahrung

Ökospiritualität

Die heutige Form ist im Christentum eher neu. Das zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Ökospiritualität ab Christi Geburt. Und: Die Reformierten spielen eine wichtige Rolle.

Die Bibel selbst ist nicht das ökospirituelle Buch par excellence. Wichtiger war den Autoren die Heilsgeschichte des Gottesvolkes und die Erlösung der Welt von der Erbsünde. Und doch scheinen in den biblischen Texten immer wieder Bezüge zur Schöpfung und zur Kraft der Natur auf, am deutlichsten in den beiden Schöpfungserzählungen zu Beginn der Bibel.

«Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und sieh, es war sehr gut»: Mit dieser Feststellung bekundet die Bibel den Wert des Geschaffenen.

Der Mönch als Naturpoet

Auffallend wenig Naturlob findet sich in den vier Evangelien. Jesus war unterwegs, um das Reich Gottes zu verkünden. Dass zu diesem Reich auch die Schöpfung gehört, war für die galiläischen Bauern und Fischer, zu denen er predigte, selbstverständlich und bedurfte keiner Worte.

Die Christinnen und Christen des europäischen Mittelalters erlebten die Natur eher als feindliche Sphäre mit vielfältigen Gefahren und Widrigkeiten wie Kälte, Dürre, Überflutungen, Hagel, Ernteausfall und wilden Tieren.

Eine Ausnahme bildete der Prediger und Ordensgründer Franz von Assisi (1181–1226), der seinen Glauben stark mit Empfindungen verband, die er aus dem Naturerleben schöpfte. Davon zeugt sein hymnischer «Sonnengesang», in dem er Gott und seine gute Schöpfung poetisch preist. Dieses Gedicht gilt als das erste Werk italienischer Hochliteratur.

Wenn wir das Leben erhalten wollen, dann müssen wir heute ins Zentrum der Option für die Armen den wichtigsten Armen von uns allen stellen, den Planeten Erde.
Leonardo Boff, Befreiungstheologe

Der gegenwärtige Papst Franziskus schliesst an seinen Namensvetter an. In seinem Rundschreiben «Laudato si’» entwickelte er 2015 eine Theologie zum Umwelt- und Klimaschutz, die in einem Kapitel auch Anregungen für eine ökologiebewusste Erziehung und Spiritualität enthält.

Die Stimme aus Brasilien

Ebenfalls ökospirituell auf dem Weg ist der wichtige brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff. Schon in jungen Jahren hatte er die Unterdrückung eines indigenen Volkes und die Abholzung des Regenwaldes miterlebt.

In seiner Schöpfungstheologie hält er fest: «Wenn wir das Leben erhalten wollen, dann müssen wir heute ins Zentrum der Option für die Armen den wichtigsten Armen von uns allen stellen, den Planeten Erde.»

Anstoss im Weltkirchenrat vor 40 Jahren

«Bewahrung der Schöpfung» ist ein Motto, das heute in vielen Kirchen – gerade auch in den reformierten – stark verankert ist. Den Anstoss gab die Vollversammlung des Weltkir­chenrats 1983 in Vancouver. Damals initiierten die Teilnehmenden den «konziliaren Prozess gegenseitiger Verpflichtung auf Gerechtigkeit, Frie­den und Bewahrung der Schöpfung».

An der Europäischen Ökumenischen Versammlung 1988 in Basel erhielt die ökologische Theologie weiteren Schub. «Für uns als Christen zeigt sich in der Artenvielfalt die Freigebig­keit Gottes, des Schöpfers», heisst es in der Schlusserklärung unter anderem.