Wie drei junge Wilde die Welt veränderten

Täufer

Am 21. Januar 1525 fand in Zürich ein Ereignis mit weitreichenden Folgen statt: Die erste Taufe der Täuferbewegung. Die Idee dahinter wirkt bis heute weltweit nach.

Immer wieder sind in Zürich Reisegruppen unterwegs, die einem Film aus dem 19. Jahrhundert entstiegen scheinen: die Frauen tragen lange Röcke, das Haar ist unter Kopftüchern oder Häubchen verborgen, auch die Männer mit ihren Strohhüten und Hosenträgern über den groben Leinenhemden ziehen die Blicke auf sich: Es sind Mennoniten und Amische aus den USA, Nachfolger der Täufer, die auf den Spuren ihrer Ahnen wandeln.

Die Familiengeschichten dieser Menschen sind voller Mord, Folter, Vertreibung – und so lautet die Frage, die sie am meisten bewegt: Warum nur waren die Reformatoren Zwingli und Bullinger derart hart und unnachgiebig in der Verfolgung der Täufer? Aufschluss geben die Ausführungen von Peter Dettwiler vor dem Geburtshaus der Täuferbewegung im Niederdorf.

Der pensionierte reformierte Pfarrer setzt sich seit zwei Jahrzehntenf ür den Dialog mit den Mennoniten ein, und er ist ein wandelndes Lexikon, wenn es um die Geschichte der Täufer in der Schweiz geht. «Die Geburtsstunde des Täufertums ereignete sich vermutlich in diesem Haus an der Neustadtgasse 1», sagt er zu einer Gruppe von Pfarrpersonen aus den USA; immer wieder führt Dettwiler Reisegruppen zu den Hotspots der Reformation. «Hier wohnte Felix Manz, einer der drei jungen Wilden, die es wagten, sich gegen Zwingli aufzulehnen.»

Allerdings erinnert keine Plakette an der Fassade an den geschichtsträchtigen Moment vor 500 Jahren, der die Abspaltung der Täufer von den Reformierten einleitete. Denn ganz sicher ist es nicht, dass die erste Erwachsenentaufe hier stattfand, aber sehr wahrscheinlich. Als historisch gesichert gilt, dass in dem Haus zwischen 1511 und 1531 ein «Caplan Felix Mantz» wohnte: «Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei um den Vater des Täufers Felix Manz handelte, der seinem Sohn denselben Vornamen Felix gab», sagt Peter Dettwiler. 

Drei Männer taufen sich gegenseitig

An diesen Bewohner «Felix Mantz» (mit tz) erinnert eine blaue Häuserbeschriftung an der Neustadtgasse 1. Stimmt die Theorie, wäre der bekannte Täufergründer Felix Manz das uneheliche Kind eines Chorherren gewesen und hätte hier bei seinem Vater gewohnt. Der genaue Ort ist allerdings seit längerem Gegenstand von Mutmassungen der Historiker: Felix Manz könnte auch im Nachbarhaus an der Neustadtgasse 4 gewohnt haben, wo ebenfalls ein Kaplan namens Mantz, mit Vornamen Hans, gewohnt hat. Als gesichert gilt, dass die erste Täufer-Taufe im Zuhause von Felix Manz stattfand.  

Was sich hier nur einen Steinwurf vom Grossmünster entfernt vor einem halben Jahrtausend zugetragen hat, sollte weitreichende und weltweite Folgen haben. Die Initialzündung: Am 18. Januar 1525 hatte der Zürcher Rat ein Gesetz erlassen, dass alle Kinder innert acht Tagen nach der Geburt zu taufen seien. «Damit war der Konflikt mit den Taufgesinnten unvermeidlich», sagt Peter Dettwiler. «Und so fand hier am Samstag, dem 21. Januar 1525, die erste Wiedertaufe statt.»

Der Hintergrund: Drei rebellische Reformeiferer, frühere Weggefährten Zwinglis, wollten sich mit der Anweisung des Zürcher Rates auf keinen Fall abfinden, denn Johannes der Täufer hatte den erwachsenen Jesus getauft, kein Baby. Und so setzten Felix Manz, Konrad Grebel und Jürg Blaurock drei Tage nach dem Taufpflichterlass ihr Zeichen gegen die obrigkeitliche Anordnung; «Jürg Blaurock bat Konrad Grebel ihn zu taufen und taufte dann selbst Felix Manz in einer schlichten Zeremonie.»

Für den Glaubensmann und Politiker Zwingli stellten die Täufer eine Gefahr dar, nicht nur, weil ihre Bewegung grossen Zulauf hatte. Zwingli wollte die Einigkeit von Staat und Religion; wer nicht zur Kirche ging oder seine Kinder nicht taufen liess, stand unter Verdacht. «Die ersten Täufer waren der radikalere Flügel der Reformation», sagt Peter Dettwiler.

In seinem Todesjahr 1531 nannte Zwingli «diese Sekte» eine «verdorbene Art von Menschen», sprach von den Täufern als «Pest» und als «Unkraut»; das hiess auch, dass sie auszurotten seien. Innerhalb von drei Monaten war die Bewegung in Zürich zerschlagen, die ersten Zusammenkünfte der neugläubigen Täufer fanden ausserhalb der Stadtmauern in Zollikon statt. Die Anhänger flohen aus der Stadt ins Umland und versteckten sich. Felix Manz wurde 1527 bei der Schipfe in der Limmat ersäuft – als erster von vielen Märtyrern.

Auf den Spuren der Ahnen wandeln

Auf den Spuren der Ahnen wandeln

«Die Taufe war für die ersten Täufer das Symbol einer bewussten Entscheidung, sich der Herrschaft von Jesus Christus zu unterstellen und seinem Beispiel zu folgen», heisst es auf der Webseite der Mennoniten zum 500-Jahr-Jubiläum. «Ein Bekenntnis, das nur ein Erwachsener leisten konnte.» Die Mennoniten sind heute mit rund 2.2 Millionen Angehörigen weltweit heute die grösste Nachfolgegruppierung, die sich auf das Glaubenserbe der Täufer beruft. Die Mennoniten sind auf allen Kontinenten aktiv, heute verstärkt auch in Afrika, z.B. in Äthiopien. 

Heute sehen die Mennoniten auch den Täuferverfolger Zwingli als Mitbegründer ihres Glaubens. Denn mit der Bibelübersetzung vor 500 Jahren ermöglichte er auch für die ersten Angehörigen der Täuferbewegung ganz Wesentliches: Er eröffnete einen individuellen Zugang zur Bibel und ermöglichte so auch Laien, ein individuelles Verständnis dafür zu entwickeln, was die Nachfolge Christi konkret bedeutet. Diese Form der Erneuerung des Glaubens aus dem Evangelium hatte für die Täufer grosse Bedeutung. Viele Nachfolger der ersten Täufer aus Übersee besuchen die Stätten ihrer reichen und gewalttätigen Geschichte in Europa und der Schweiz.