«Wir suchen heute nach dem Miteinander»

Täufer

Die Angehörigen der täuferischen Kirchen betonten den persönlichen Charakter des christlichen Glaubens, sagt Jürg Bräker, Generalsekretär der Mennoniten der Schweiz.

Ein Dezembermorgen an der Schipfe in Zürich. Hier, am Limmatufer, befand sich einst eine Landestelle für Warenschiffe, wo in der Reformationszeit zwischen 1527 und 1532 der Täufer Felix Manz und fünf seiner Glaubensgenossen von der Obrigkeit durch Ertränken hingerichtet wurden. Leute kommen und gehen, manchmal in Gruppen, und sehen sich die Schrifttafel an, die an dieses Geschehen erinnert. Zwei Redaktoren der Zeitung «reformiert.» treffen an der Stelle Jürg Bräker, den Generalsekretär der Konferenz der Mennoniten in der Schweiz.

Was geht Ihnen als Mennonit durch den Kopf, wenn Sie an der Stelle stehen, wo einige Ihrer Glaubensbrüder hingerichtet wurden? 

Jürg Bräker: Es ist ein berührender Ort für mich. Täufer aus der ganzen Welt kommen hierher und denken über die Kostbarkeit des Glaubens nach, auch in Dankbarkeit für Vorfahren, die einen hohen Preis für ihre Überzeugung bezahlt haben. Mir fehlt aber ein Hinweis darauf, wann die Tafel gesetzt wurde.

Warum? 

Die Tafel ist heute auch ein Zeichen der Versöhnung zwischen Täufern und Reformierten. Sie wurde hier 2004, an einem Gedenktag der Versöhnung, platziert. Sowohl die Mennoniten als auch die reformierte Kirche stehen mittlerweile an einem ganz anderen Punkt als noch während der Verfolgung der Täufer. Uns geht es jetzt nicht mehr darum, das harte Vorgehen gegen die Täuferbewegung anklagend gegen die Reformierten in Stellung zu bringen.

Auf den Spuren der Ahnen wandeln

Der promovierte Theologe ist Generalsekretär der Konferenz der Mennoniten der Schweiz und Mitglied im Exekutivkomitee der Mennonitischen Weltkonferenz (MWC), wo er Europa vertritt. Weltweit umfasst die Täuferbewegung etwa zwei Millionen Mitglieder, 1,5 Millionen gehören der MWC an. In der Schweiz gibt es heute 13 Täufergemeinden im Jura, Bern, Emmental und Basel. 

Die Nachfolgerinnen und Nachfolger der Täufer sehen sich nicht mehr als Opfer der Reformation? 

Hier die Täufer als die Friedliebenden, dort Zwingli als der, der in den Krieg zog: Diese Lesart ist zu einfach. Zwar haben die Täufer mit ihrer betonten Christusnachfolge und Gewaltfreiheit einen wichtigen Impuls gesetzt. Aber ihre Forderung, dass Kirche und Staat konsequent zu trennen seien, hatte in der Zeit der Reformation etwas Disruptives, das in der damaligen Gesellschaft durchaus gefährliche Dynamiken entwickeln konnte. Das erklärt das harte Einschreiten von Reformator Zwingli und der Zürcher Obrigkeit bis zu einem gewissen Grad.

Für die Täufer war die Erwachsenentaufe wichtig, auch verweigerten sie den Kriegsdienst. Waren sie die radikaleren Reformer als die Reformatoren selbst? 

Die Täufer waren bereit, Reformen einzuführen, ohne auf die Erlaubnis des Staates zu warten. Sie sagten sich: Wenn wir bei jedem Schritt zuerst auf das Einverständnis der weltlichen Macht warten müssen, kommen wir nie vorwärts. Ich bin nicht sicher, ob sie sich damals bewusst waren, welcher Zerreissprobe die Gesellschaft ausgesetzt gewesen wäre, wenn die gesamte Kirche so vorgegangen wäre.

Wirkt das Zerwürfnis der Mennoniten mit der «offiziellen» Reformation nicht immer noch nach? So gibt es ja bis heute keine Mennonitengemeinde im Kanton Zürich. 

In der jetzt 500 Jahre alten Beziehung der Bewegung der Täufer beziehungsweise Mennoniten zu den Kirchen der «offiziellen» Reformation lassen sich drei Schritte erkennen: gegeneinander, nebeneinander, miteinander. Wir suchen heute eindeutig nach dem Miteinander und praktizieren es an vielen Orten. Unsere Mennonitengemeinde in Bern beispielsweise arbeitet eng mit der reformierten Gemeinde Nydegg zusammen. Zudem fanden und finden klärende Gespräche auf nationaler und internationaler Ebene mit verschiedenen Konfessionen statt.

Jesus Christus nachzufolgen, umfasst alle Bereiche des Lebens.
Jürg Bräker, mennonitischer Theologe

Die Täufer und ihre Nachfolger wurden lange verfolgt, eingekerkert und hingerichtet. Inwiefern gehört das Martyrium zum Selbstverständnis des Täufertums? 

Für die Täuferbewegung ist die Nachfolge Christi zentral. Also auch Gewaltfreiheit: lieber umkommen als nach dem Schwert greifen. In der Tat nimmt diese Konsequenz auch ein mögliches Martyrium in Kauf. Das kann dann problematisch werden, wenn andere mit betroffen sind: Ein täuferisch gesinnter Familienvater, der standhaft blieb, musste damit rechnen, dass er mit Galeerendienst bestraft wurde und seine Frau erwerbslos zurückblieb und die Kinder verdingt wurden.

Gerade der mennonitische Pazifismus kann in der heutigen Zeit aber wichtige Anstösse geben. 

Ja, die Frage des Gewaltverzichts ist im täuferischen Denken und Handeln zentral, auch heute noch. Der Mennonit Michael Sharp, den ich selbst in Heidelberg kennenlernte, war später im Kongo als Friedensstifter unterwegs, mit der Mission, möglichst viele Kämpfer zum Niederlegen der Waffen zu bewegen.

War er erfolgreich? 

Ja. Tausende Rebellen gaben im Rahmen dieser UNO-Mission die Waffen ab. 2017 wurde Sharp im Einsatz ermordet. Ich würde ihn nicht als Märtyrer bezeichnen, er handelte jedoch aus tiefster Überzeugung.

«Mut zur Liebe» wagen

An Auffahrt 2025 treffen sich Nachfolgerinnen und Nachfolger der ersten Täufer aus der ganzen Welt in Zürich, wo ihre Bewegung entstand. «Mut zur Liebe» lautet das Motto des 500-jährigen Jubiläums. «Zeiten der Polarisierung verlangen von uns Mut zum Zuhören und zur Versöhnung – und den Fokus auf die Liebe», sagt Jürg Bräker.

Zur Website der Jubiläumsfeiern.

Wie kommt es eigentlich, dass die Mennoniten unter sich auch gespalten sind? Es gibt ja sehr konservative Gruppen und auch moderne wie die Gemeinde, der Sie angehören. 

Den Mennoniten ist wichtig, authentisch zu glauben. Das kann zur Haltung führen: Mein persönliches Verständnis, wie ich Nachfolge lebe, ist mir wichtiger als ein Konsens. Blieben Gruppen in Fragen des Glaubens und der Lebensführung uneins, so gingen sie auseinander und gründeten eigene Gemeinschaften. Manche sondern sich strikt ab wie die Old Order Mennonites in den USA oder die Mennoniten in Belize, viele andere Nachfolger der Täufer stehen mitten in der Gesellschaft.

Viele Aussenstehende sehen gerade in den Amischen mit den altertümlichen Trachten und ihrer Technikfeindlichkeit typische Täufer. 

Diesem Klischee begegne ich immer wieder, ja. Aber wenn zum Beispiel eine Journalistin über eine Gruppe berichten möchte, die sich der Moderne weitgehend verschliesst, wird sie in europäischen Ländern kaum fündig. Die Bandbreite der Täufergemeinden ist sehr gross und umfasst das ganze Spektrum von evangelikal bis liberal.

Was verbindet die so vielfältig aufgesplitterten Mennoniten? 

Die gemeinsame Geschichte, sie ist identitätsstiftend. Und die Christuszentriertheit. Mit dem Begriff der Nachfolge wird verbunden, dass die Lebenshaltung von Jesus Christus alle Lebensbereiche betrifft. Es geht im Kern um die Frage, wie ich mit meinen Mitmenschen und mit mir selbst umgehe, nach dem Vorbild von Jesus. Dahinter steht eine persönliche Entscheidung. Und diese Entscheidung besiegelt dann der mündige Mensch mit der Taufe.