Mit dem Mut zur Liebe

Jubiläum

An Auffahrt reisten Mennonitinnen und Mennoniten aus aller Welt nach Zürich. Die Stadt ist die Wiege der Glaubensbewegung, Schauplatz der ersten Verfolgung und Ort der Versöhnung.

Felix Mantz elektrisiert. Der Name des ersten täuferischen Märtyrers ist selbst in den Täufergemeinschaften von Kolumbien bis Kenia geläufig. Mantz blieb auch im Angesicht des Todes standhaft, als ihm drohte, in der Limmat «im Wasser zu verderben und zu sterben».

Wo aber ist die Schipfe, wo Mantz an einem kalten Januartag 1527 ertränkt wurde? Pablo Stucky sucht verzweifelt auf dem Stadtplan. Da kommt ein Passant und weist dem Kolumbianer den Weg. Stucky sagt mit einem Lachen: «Da wurde mir ein Engel geschickt.»

Ein Engel für Kolumbien

Manchmal fehlt es im Bürgerkriegsland Kolumbien an Engeln, manchmal ist Pablo Stucky selbst einer. Er hilft vertriebenen Campesinos und traumatisierten Kindern, organisiert Hilfe mit dem mennonitischen Netzwerk und versucht, mit Trainings zur Gewaltfreiheit die Spirale der Gewalt zu durchbrechen.

Stucky ist ein in der Schweiz bekannter Name. «Auf dem Taufschein steht Paul», erklärt er und erzählt, wie seine Vorfahren einst vom Berner Jura in die USA auswanderten, in das von Täufern gegründete Berne in Indiana. Sein Vater sprach noch Schweizerdeutsch. Als Missionar zog er nach Kolumbien, wo Pablo geboren wurde und blieb.

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Reformiertes Schuldbekenntnis

Jetzt aber soll es zur Gedenktafel für Felix Mantz gehen. 2004 wurde sie vom damaligen Kirchenratspräsidenten Ruedi Reich enthüllt, verbunden mit einer Bitte um Verzeihung für das, was die Reformierten den Täufern angetan haben. Viele Gäste aus den USA und Kanada waren damals dabei. 

2025 hingegen wird die Tafel von Menschen aus Afrika, Asien und Lateinamerika umstanden. Ein Zeichen dafür, wie bedeutend der globale Süden für die mennonitischen Gemeinschaften mittlerweile geworden ist.

Wie das auserwählte Volk

Eine halbe Stunde später im Gemeindezentrum der Friedenskirche am Hirschengraben analysiert der Historiker Hans Leaman die Verschiebungen auf der mennonitischen Glaubensweltkarte. «Von Anfang an waren die Mennoniten eine wandernde Kirche», sagt der Geschichtsprofessor am mennonitischen Sattler College im Workshop «Migration und Mission».

Im überfüllten Seminarraum wird eine Karte an die Wand projiziert: Von Zürich und Süddeutschland aus ziehen Pfeile Richtung Mähren, Bessarabien und bis in die Ukraine. Die Kirche auf Wanderschaft wird in der mennonitischen Theologie als Plan Gottes gedeutet. 

«So wie das auserwählte Volk der Juden nomadisiert, so geschieht dies mit uns Täufern», sagt Leaman. Aus der durch Verfolgung erzwungenen Migration erwuchs das globale Netzwerk der Gegenwart.

Anwaltschaft für Geflüchtete

Für Leaman ergibt sich aus der historischen Erfahrung als Glaubensnomade der Auftrag, Geflüchteten und Migranten beizustehen. «Wir dürfen die soziale Hilfe jedoch nicht für die Mission verzwecken.»

Trotzdem lässt sich nicht bestreiten: Mancher mennonitische Aufbruch beginnt mit der humanitären Hilfe. Die Gründungsgeschichte der äthiopischen Kirche, die mit mehr als einer halben Million getauften Mennoniten weltweit an der Spitze liegt, ist eng mit der Präsenz von mennonitischen Hilfsprogrammen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verbunden.

Der bolschewistische Terror

Auf dem Rückweg von der Friedenskirche zum Grossmünster geht es vorbei an der Spiegelgasse 14, einer der zehn historischen Stationen, die der Mennonitische Weltkongress für die internationalen Gäste eingerichtet hat. Hier wohnte einst Wladimir Iljitsch Lenin (1870–1924), der einen atheistischen Staat gründen wollte. Bolschewistische Massaker und die Politik des Aushungerns brachten vielen Nachfahren der im späten 18. Jahrhundert eingewanderten Mennoniten den Tod. Tausende flohen aus der jungen Sowjetunion nach Kanada und Lateinamerika.

Von den russischen Einwanderern in Paraguay kann Ana Moyano, Leadsängerin der Gruppe Agape, erzählen. Noch steht sie auf der Bühne auf dem Grossmünsterplatz und singt von der Liebe zu Gott und Jesus. Selbst das ältere Publikum swingt beim Worship-Pop mit Latino-Folkelementen mit.

Das menonnitische Popduo

Ana Moyano und ihr Ehemann Carlos Arce sind in Paraguay sehr bekannt. Mit professionellen Videos und Präsenz auf Musikplattformen wie Spotify ist diese Mennonitenband der Moderne zugewandt. «Bei uns Mennoniten wird Vielfalt gelebt», sagt Moyano. Auf dem Land herrschten die Traditionalisten vor, erzählt sie, meist Nachkommen der vertriebenen Gemeinschaften aus Russland. Bis heute tragen dort die Männer Prophetenbärte, die Frauen haben ihre Stoffhäubchen auf.

Gegen 15 Uhr wird unter der warmen Sonne die Schlange vor dem Glace-Wagen von «reformiert.» vor dem Grossmünster langsam kürzer. Dafür stauen sich jetzt vor der bronzenen Bibeltür immer mehr Leute. Auf 16 Uhr ist die Türöffnung für den Gedenkgottesdienst in der Kirche Zwinglis angekündigt.

Am Pazifismus festhalten

Maria Minnich, die aus Ravensburg kommt, will sich das Anstehen mit ihren drei Kindern ersparen. Also steht sie etwas abseits. Auf ihrem T-Shirt prangt das Wort «Peace». «Es sind meine mennonitischen Wurzeln, die mich dazu ermuntern, an der Idee einer gewaltfreien Welt festzuhalten.» Angesichts der Kriege wie in der Ukraine, das räumt sie freimütig ein, stosse ihr pazifistisches Credo durchaus an Grenzen.

Die Friedenstheologie steht denn auch im Zentrum der Predigt im Gedenkgottesdienst im Grossmünster, der wie der ganze Täufertag unter dem Motto «Mut zur Liebe» steht. César García, Generalsekretär des Mennonitischen Weltkongresses, streicht unmissverständlich heraus: «Der Mut zum Frieden und der Mut zur Liebe sind nicht einfach idealistisch oder naiv.»