Im überfüllten Seminarraum wird eine Karte an die Wand projiziert: Von Zürich und Süddeutschland aus ziehen Pfeile Richtung Mähren, Bessarabien und bis in die Ukraine. Die Kirche auf Wanderschaft wird in der mennonitischen Theologie als Plan Gottes gedeutet.
«So wie das auserwählte Volk der Juden nomadisiert, so geschieht dies mit uns Täufern», sagt Leaman. Aus der durch Verfolgung erzwungenen Migration erwuchs das globale Netzwerk der Gegenwart.
Anwaltschaft für Geflüchtete
Für Leaman ergibt sich aus der historischen Erfahrung als Glaubensnomade der Auftrag, Geflüchteten und Migranten beizustehen. «Wir dürfen die soziale Hilfe jedoch nicht für die Mission verzwecken.»
Trotzdem lässt sich nicht bestreiten: Mancher mennonitische Aufbruch beginnt mit der humanitären Hilfe. Die Gründungsgeschichte der äthiopischen Kirche, die mit mehr als einer halben Million getauften Mennoniten weltweit an der Spitze liegt, ist eng mit der Präsenz von mennonitischen Hilfsprogrammen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verbunden.
Der bolschewistische Terror
Auf dem Rückweg von der Friedenskirche zum Grossmünster geht es vorbei an der Spiegelgasse 14, einer der zehn historischen Stationen, die der Mennonitische Weltkongress für die internationalen Gäste eingerichtet hat. Hier wohnte einst Wladimir Iljitsch Lenin (1870–1924), der einen atheistischen Staat gründen wollte. Bolschewistische Massaker und die Politik des Aushungerns brachten vielen Nachfahren der im späten 18. Jahrhundert eingewanderten Mennoniten den Tod. Tausende flohen aus der jungen Sowjetunion nach Kanada und Lateinamerika.
Von den russischen Einwanderern in Paraguay kann Ana Moyano, Leadsängerin der Gruppe Agape, erzählen. Noch steht sie auf der Bühne auf dem Grossmünsterplatz und singt von der Liebe zu Gott und Jesus. Selbst das ältere Publikum swingt beim Worship-Pop mit Latino-Folkelementen mit.
Das menonnitische Popduo
Ana Moyano und ihr Ehemann Carlos Arce sind in Paraguay sehr bekannt. Mit professionellen Videos und Präsenz auf Musikplattformen wie Spotify ist diese Mennonitenband der Moderne zugewandt. «Bei uns Mennoniten wird Vielfalt gelebt», sagt Moyano. Auf dem Land herrschten die Traditionalisten vor, erzählt sie, meist Nachkommen der vertriebenen Gemeinschaften aus Russland. Bis heute tragen dort die Männer Prophetenbärte, die Frauen haben ihre Stoffhäubchen auf.