Das Leben hält sich an kein Drehbuch. Der Tod schon gar nicht. Den Film, den Namir Abdel Messeeh mit seiner Mutter drehen wollte, muss er mit ihrer Abdankung beginnen.
Der Tod ist ein harter Schnitt. Und dennoch sind da auch ein Trost dank allem, was überdauert, ein zarter Beginn. Davon erzählt «La Vie Après Siham», der Anfang Oktober am Zurich Film Festival mit dem Filmpreis der Zürcher Kirchen ausgezeichnet wurde, zuerst.
Präsenz in der Absenz
Der neugierige Sohn, der die Trauer mit seinem Schalk zu brechen und die Distanz mit liebevoller Ironie zu überwinden versucht, wühlt mit dem schweigsamen Vater in bis zum Rand mit Briefen gefüllten Kartonschachteln. Die Mutter bleibt in ihrer Absenz präsent im Alltag der Hinterbliebenen, auch in der Wohnung. Behutsam nähern sich Vater und Sohn an, der Schutzpanzer des Schweigens bekommt erste Risse.
Messeh ist ein Meister der Brüche und der doppelbödigen Inszenierung. Bereits in «La vierge, les coptes et moi» (2012) verband er die Recherche nach Marienerscheinungen in der koptischen Tradition mit der Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln und der witzigen Reflexion über seine Arbeit. Er wirbelte dabei Fiktion und Dokumentation, Plan und Zufall wild durcheinander. Die Pointe lag darin, dass die Mutter in die Rolle der komödiantischen Kritikerin des Projekts schlüpfte, um es am Ende zu retten.
Lose Enden
Zur Spurensuche wird auch das liebevolle Requiem auf die Mutter. Messeeh rekonstruiert die Geschichte seiner Eltern. Wie jeder Tod hinterlässt ihr Sterben Fragen, lose Enden, Rätsel, Widersprüche.
Der Vater war Kommunist und wurde 1959 im sozialistischen Regime unter Gamal Abdel Nasser verhaftet. Nach fünf Jahren kam der politische Häftling frei. Die Zeit beleuchtet Messeeh im kurzen Dokumentarfilm «You, Waguih» (2005).
Dekonstruktion der Erinnerung
Die Annäherung an die Biografie seiner Mutter setzt mit der Freilassung des Vaters ein. Natürlich ist es für alle Fragen zu spät. Deshalb verwendet Messeeh für Rückblenden Schnipsel aus ägyptischen Filmklassikern als Stummfilmmaterial.
Der Kniff ist doppelt klug: Die Verfremdung illustriert die Sprachlosigkeit nach dem Tod und entlarvt die Erinnerung als Konstruktion. Der Blick auf die eigenen Eltern erzählt immer auch die Geschichte des Kindes. Sie ist mit blinden Flecken durchsetzt und selten frei von klischierten Bildern.
Knäuel der Erzählfäden
Messeeh erzählt auf virtuose, intime Art seine eigene Geschichte und legt dabei ihren universellen Kern frei: der Tod und die Liebe, die bleibt, die Erinnerung und der Knäuel mit all den Erzählfäden in der Verwandtschaft. Und die Migration, welche die Eltern zwingt, das Kind im Heimatdorf aufwachsen zu lassen, wodurch der Trennungsschmerz stumm in die Familiengeschichte eingesickert ist.
Namir Abdel Messeeh: La Vie Après Siham. 76 Minuten Frankreich, Ägypten, 2025