Recherche 06. Oktober 2017, von Felix Reich

Die Kirche auf dem grünen Teppich

Film

Lisa Brühlmann gewinnt den Preis der Kirchen am «Zurich Film Festival». Mit «Blue My Mind» zeichnet sie so hartes wie poetisches Teenagerporträt.

«Mutig» nennt Bernhard Egg den Entscheid der Jury, «Blue My Mind» mit dem Filmpreis der Zürcher Kirchen auszuzeichnen. Der Kirchenrat muss es wissen. Denn er sass in der ökumenisch zusammengesetzten Jury, die am «Zurich Film Festival» zwölf Beiträge aus der Kategorie «Fokus: Schweiz, Deutschland und Österreich» begutachtet hat.

Der Erstling von Lisa Brühlmann sei ein «drastischer Film, der aufrüttelt», sagt Egg. Und er behandle Fragen, die auch die Kirche intensiv beschäftigen: Wie Jugendliche ihren Platz finden können, welchem Druck sie ausgesetzt sind, und was passiert, wenn Eltern an ihre Grenzen stossen.

Gar nicht so überraschend. Vier Jahre hat die Schauspielerin und Regisseurin Lisa Brühlmann an ihrem Film gearbeitet. Zuerst war sie überrascht, dass ausgerechnet sie den Preis der Kirchen gwinnt. Neben der künstlerischen Qualität wollte die Jury auch «die biblische Sichtweise und die christliche Verantwortung» berücksichtigen.

Inzwischen hat sich bei der 1981 geborenen Zürcherin die Überraschung aber relativiert. «Ich entdeckte im Rückblick, dass mein Film ja durchaus christliche Werte verhandelt.» So gehe es um Konflikte und Vergebung, den Leidensweg und die Liebe, die trotz allem trägt. «Ohnehin sind viele Filme von der Bibel inspiriert, weil sie einfach grossartige Geschichten erzählt.»

Abgründe der Sprachlosigkeit. In «Blue My Mind» zieht Mia (grossartig: Luna Wedler) mit ihren Eltern in die gesichtslose Agglomeration von Zürich. Mit feinem Gespür zeigt Brühlmann, wie sich ihre Hauptfigur in der neuen Klasse zurechtzufinden sucht. Sie erzählt künstlerisch viel zu ambitioniert vom Preis für das Dazugehören, von Euphorie und Absturz, Rausch und Leere, um in Problemfilmklischees abzudriften.

Solidarität und Liebe wachsen zaghaft, sind aber existenziell, wobei sie einzig unter Freundinnen möglich werden, weil Sex im besten Fall ein Tauschgeschäft ist. Die unbeholfene, bis an den Rand der Gewalt driftende Sprachlosigkeit zwischen den Geschlechtern schildert Brühlmann mit schmerzhafter Präzision.

Das Monster Pubertät. In Mias schleichender Verwandlung zur Meerjungfrau findet Brühlmann eine Metapher für die monströse Pubertät. Sie illustriert sie mit so klug wie originell gewählten Bildern. Die Stärke des Films liegt nun darin, dass er nicht in die Pädagogikfalle tappt. Die Metapher wird Wirklichkeit und in kafkaesker Konsequenz gesprengt. So gelingt ein Ende im Licht der Hoffnung ganz ohne plumpe Harmonie.

Den mit 5000 Franken dotierten Preis haben die reformierte und die katholische Kirche in diesem Jahr zum ersten Mal vergeben. Der Auftritt auf dem grünen Teppich des Filmfestivals biete die Chance, ein Terrain zu besetzen, auf dem die Kirche kaum präsent sei, sagt Egg. Er plädiert dafür, am Filmpreis längerfristig festzuhalten, um ihn zu etablieren. «Der Film ist ein gross­artiges Medium, um Geschichten zu erzählen.»

Vom Kino in die Kirche. Zu ihrer Wahl ist der Jury nur zu gratulieren. Lisa Brühlmann findet eine eigene Sprache für urchristliche Fragen nach Selbstfindung, Neuwerdung und Beziehungsfähigkeit. Wenn es gelingt, diese Fragen über die Leinwand auf neue Art in die Kirche zu tragen, ist der Filmpreis mehr als Öffentlichkeitsarbeit. Denn dann zeigt sich, dass Kunst und Glaube zwei Seiten der gleichen Medaille sind.

Kinostart: 9. November