«Wir wollen rasch und unbürokratisch helfen»

Diakonie

Die Kirchgemeinde Zürich will Menschen helfen, die durch die Pandemie in Not geraten sind. Kirchenpflegerin Claudia Bretscher sagt, warum es dafür eine Million Franken braucht.

Die Stadt Zürich führt zusätzlich zur Sozialhilfe die wirtschaftliche Basishilfe ein. Nun will die Kirchenpflege der reformierten Kirchgemeinde Zürich eine Million Franken für Menschen einsetzen, die in der Pandemie in finanzielle Nöte geraten sind. Ist das soziale Netz derart löchrig im reichen Zürich oder will die Kirche zeigen, dass es sie auch noch gibt?

Claudia Bretscher: Ums Image geht es nicht. Wir wollen in dieser ausserordentlichen Situation rasch, gezielt und unbürokratisch helfen. Man muss tief fallen, damit einem die Sozialhilfe auffängt. So lange wollen wir nicht warten.

Wann fängt denn der Corona-Batzen der Kirche die Menschen auf?

Die Pandemie hat Menschen finanziell an den Anschlag gebracht, obwohl sie weiterhin arbeiten. Hat eine Familie ein Monatseinkommen von 6000 Franken und fallen wegen Kurzarbeit 20 Prozent davon weg, wird es eng. Es wird schwierig, die Miete zu bezahlen, die Ersparnisse sind rasch aufgebraucht.

Der Corona-Batzen

Mit dem Corona-Batzen will die Kirchgemeinde Zürich Soforthilfe leisten, damit Menschen wegen der Pandemie nicht durch die Maschen fallen. In eigener Kompetenz hat die Kommission Personal- und Entwicklungsfonds bereits 99'000 Franken freigegeben. Am 23. Juni entscheidet das Parlament der Kirchgemeinde, ob die Hilfe auf eine Million Franken aufgestockt wird. Von der Hilfe der Kirche würden Einzelpersonen und Familien profitieren, die kein Anrecht auf Sozialhilfe, Invalidenrente oder Ergänzungsleistungen haben, aber wegen der Pandemie dennoch in finanzielle Not geraten sind. Finanziert wird der Corona-Batzen aus dem Personal- und Entwicklungsfonds. Zu den wichtigsten Initiatoren des Projekts gehört Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist. Die Kirchgemeinde Zürich hat in der Pandemie bereits auf Mieteinnahmen von 140'000 Franken verzichtet.

Wie viel Geld erhält jemand von der Kirche?

Für eine Einzelperson liegt das Maximum bei 3200 Franken. Familien mit zwei Kindern erhalten höchstens 4800 Franken und für jedes weitere Kind 1000 Franken. 

Wer entscheidet, wer Geld bekommt?

Über Sozialdiakoninnen und Sozialdiakone sowie Pfarrpersonen können die Hilfsbedürftigen bei der kirchlichen Sozialberatung, die bei der Streetchurch an der Badenerstrasse untergebracht ist, ein Gesuch stellen. Oder sie melden sich direkt dort. Auch die Bahnhofskirche und die Hilfsorganisation Solidara Zürich sind Anlaufstellen, bei denen sich Betroffene melden können.

Wer vor der Pandemie gerade noch so durch kam, für den geht es jetzt ans Eingemachte.
Claudia Bretscher, Kirchenpflegerin der Kirchgemeinde Zürich

Wurde abgeklärt, ob überhaupt Nachfrage besteht?

Wer vor der Pandemie gerade noch so durch kam, für den geht es jetzt ans Eingemachte. Sollte die Nachfrage kleiner sein als erwartet, bleibt das Geld im Fonds für Personal und Entwicklung. Aber wenn ich unseren Leuten in der Diakonie und in den Pfarrämtern zuhöre, bin ich überzeugt, dass die Hilfe nötig ist.

Die wirtschaftliche Basishilfe

Die Stadt Zürich hat kürzlich die wirtschaftliche Basishilfe lanciert. Mit dem Pilotprojekt soll die Armut bekämpft werden, die in der Pandemie sichtbar geworden ist. Migrantinnen und Migranten, die ihren Job verloren, melden sich nicht bei der Sozialhilfe, weil sie befürchten müssen, ihre Aufenthaltsbewilligung zu verlieren. Und für Sans-Papiers, die seit Jahren in der Schweiz gearbeitet haben, gibt es gar kein Auffangnetz. Die wirtschaftliche Basishilfe orientiert sich an den Ansätzen für Nothilfe und wird über die Hilfsorganisationen Solidara Zürich, Rotes Kreuz, Anlaufstelle für Sans-Papiers (Spaz) und Caritas ausbezahlt.

Stört es die Stadt nicht, wenn die Kirche ein soziales Parallelsystem aufzieht?

Der Corona-Batzen ist eben gerade kein Parallelsystem. Die wirtschaftliche Basishilfe ist für Menschen gedacht, welche die finanziellen Voraussetzungen für die Sozialhilfe erfüllen, sie aber nicht beziehen. Entweder weil sie als Sans-Papiers keine Berechtigung haben oder sich trotz Anrecht aus Angst um ihren Aufenthaltsstatus nicht getrauen. Wir engagieren uns also in der Lücke zur Basishilfe. Stadtrat Raphael Golta begrüsst unsere Initiative ausdrücklich.

Hilft die Kirche den Menschen unabhängig von der Konfession?

Ja. Das ist ein Grundprinzip der Diakonie. Bezugsberechtigt sind alle Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Zürich, die den Corona-Batzen nötig haben.

Claudia Bretscher

Claudia Bretscher

Die Juristin Claudia Bretscher (*1959) ist Mitglied der Kirchenpflege der reformierten Kirchgemeinde der Stadt Zürich und verantwortlich für das Ressort Diakonie und Migration. Sie leitet die Rechtsberatung von Inclusion Handicap in Zürich.