Recherche 11. November 2020, von Felix Reich

«Niemand bleibt allein»

Pandemie

Nähe trotz Distanzregeln: Die reformierte, römisch-katholische und christkatholische Kirche der Stadt Zürich lanciert am 11. November ihr Corona-Manifest.

Es sei Zeit zu handeln, sagte Lars Simpson. Der Pfarrer der christkatholischen Kirche in Zürich versprach, dass die Kirchen dafür sorgen, dass «niemand unsichtbar bleibt». Die Corona-Pandemie treffe alle Menschen, doch die Schwachen und Einsamen, Kranken und Alten besonders. Ihnen beizustehen, liege in der DNA der Kirche.

Am 11. November unterschrieb Simpson das von Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist initiierte Corona-Manifest. Auch Daniel Meier, Präsident der katholischen Kirchgemeinde, und der Priester Marcel von Holzen, Dekan der katholischen Kirche der Stadt Zürich, setzten ihre Unterschriften unter das Dokument. «Sterben in der Isolation ist grauenhaft», sagte von Holzen und bekräftigte, dass die kirchlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger trotz Pandemie Zugang an alle Sterbebetten brauchen, wenn dies die Betroffenen wünschen.

Dem Tod Raum geben

Annelies Hegnauer, Präsidentin der reformierten Kirchgemeinde Zürich, die das Dokument ebenfalls unterzeichnete, betonte, dass Kirche und Politik aus der ersten Welle gelernt hätten. «Zur Abschottung wie damals darf es nicht mehr kommen.» Durch Gespräche sei es der Kirche gelungen, Seelsorge auch unter Corona-Bedinungen in Spitälern und Altersheimen zu ermöglichen.

Sigrist rief in Erinnerung, dass die Corona-Pandemie die Sterblichkeit des Menschen schonungslos vor Augen führe. «Ständig lesen wir von Sterblichkeitsraten.» Da sei die Kirche gefordert, indem sie Wege suche zu Menschen, die im Sterben liegen, und die Angehörigen begleite sowie dem Gedenken an die Verstorbenen Raum gebe.

Gesundheit ist nicht alles

Hegnauer will mit dem Manifest auf die von der Kirche in aller Stille geleistete Diakonie aufmerksam machen und die Kräfte über Konfessionsgrenzen hinweg bündeln. Das Manifest umfasst sieben Leitsätze. Die Kirchen verpflichten sich, gerade mit Blick auf Advent und Weihnachten niemanden allein zu lassen, ob im Spital oder im Gefängnis. Zudem will sie sich auch um die sozialen Bedürfnisse der Menschen kümmern, denn «Mensch-Sein ist mehr als Gesund-Sein». Für die Zeit nach der akuten Pandemie stellt sie einen Diakonie-Kongress in Aussicht, um die Gesundheitskrise aufzuarbeiten.

Unterstützung erhielt die Kirche durch die Politik. Regierungsrat Mario Fehr dankte per schriftlicher Mitteilung den Beteiligten «herzlich für das starke Zeichen und den sichtbaren Willen und die Tatkraft, Armutsbetroffene wirksam zu untersützen».

Kreative Wege zu den Menschen

Die Kirche denke mit dem Herzen, ohne den Kopf zu verlieren, sagte Christoph Sigrist und zitierte in Zwinglis Grossmünster Luther: «Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht.» Die Schutzmassnahmen gilt es also einzuhalten, aber ebenso wenig darf die Kirche vor der verordneten Distanz kapitulieren, sondern muss weiterhin nach kreativen Wegen zu den Menschen suchen.