Recherche 06. September 2017, von Felix Reich

Geld und Moral, Paulus und Politik

Sport

Der Transfer von Neymar zu Paris St-Germain ist auch ein Coup des isolierten Zwergstaats Katar. Den Wechsel kündigte der Fussballer mit einem Bibelzitat an.

Geht er nach einem Sieg auf Ehrenrunde, bindet sich Neymar manchmal ein Stirn­band um: «100 Prozent Jesus». Und natürlich bekreuzigte er sich, als er am 5. August seinen neuen Arbeitsplatz, den Prinzenpark in Paris, betrat. Mitspielen durfte der für 222 Millionen Euro aus Barcelona losgeeiste Brasilianer beim Meisterschaftsstart noch nicht. Seither schiesst er aber artig seine Tore.

Fussball und Propaganda. Neymar da Silva Santos Júnior ist der teuerste Fussballer aller Zeiten. Sein neuer Club Paris St-Germain wird von den Öl­mill­iar­den aus Katar geflutet. Ein Staatsfonds kaufte den damals maroden Hauptstadtclub vor sechs Jahren und führte ihn rasch an die nationale Spitze. «Sie kön­nen sicher sein, wir haben noch viel mehr Geld, als wir Neymar geben», sagte Ver­einspräsident Nasser al-Khelaïfi, nachdem der Rekordtransfer über die Bühne war.

Der Clubchef hat einen direkten Draht zu Scheich Tamim bin Hamad Al Thani und dessen Konto. Mit dem Transfer zeigt der Zwergstaat vom Golf nicht nur, dass Paris finanzielle Schallmauern durchbrechen kann, er sendet auch das Signal an Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten, dass deren Blockadepolitik wirkungslos ist. Die Allianz warf Katar Terrorunterstützung vor, kappte alle diplomatischen Kontakte und schloss die Verkehrswege nach Katar. Der Scheich reagierte mit einem Rüstungsdeal mit Italien und der Stärkung des Militärbündnisses mit der Türkei. Und mit Neymar.

Markt schlägt Vernunft. Dass sich der fromme Christ Neymar vom Geld aus Katar nach Paris locken liess und zwangsläufig zum Protagonisten arabischer Muskelspiele wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Wobei die Gesetze finanzieller Vernunft im Fuss­ball schon länger ausser Kraft sind. Auch russische, amerikanische und insbesondere chinesische Investoren drängen in den lukrativen Markt. Die Summen, für die selbst mittelmässige Spieler aus laufenden Kontrakten heraus gekauft werden, steigen rasant.

Vertragsverlängerungen lassen sich die Stars mit Handgeldern vergolden. Dennoch hat Barcelona, das seinerseits den Markt mit dem Transfergeld aus Katar überschwem­mte und das französiche Talent Ousmane Dembélé von Borussia Dortmund zum zweitteuersten Fussballer machte, das Tempo der Entwicklung offenkundig unterschätzt. Vor einem Jahr band der Club Neymar vermeintlich langfristig an sich und schrieb die absurd hohe Ablösesumme von 222 Millionen in den Vertrag. Er glaubte, die Schnapszahl sei abschreckend genug. Falsch gedacht.

Der Apostel liefert das Alibi. Neymar ahnt natürlich, dass Glaube und Geldgier schlecht zusammengehen. Er betont, dass er mit dem Umzug nach Paris dem Herzen folge. Sein Konto hat sicher keine Einwände. 93 000 Franken verdient er hier pro Tag, steuerfrei. Gegen christlich motivierte Empörung stellte Neymar vor dem Vollzug des Rekordtransfers präventiv ein vorerst rätselhaftes Bibelzitat ins Netz: «Ich sage das nicht, weil mir etwas fehlt; ich habe nämlich gelernt, in allen Lagen unabhängig zu sein».

Wer im Philipperbrief weiter liest, erkennt, dass die Stelle klug gewählt ist. Paulus schreibt: «Ich kann bescheiden leben, ich kann aber auch im Überfluss leben; in alles und jedes bin ich eingeweiht; satt zu werden und Hunger zu leiden, Überfluss zu haben und Mangel zu leiden. Alles vermag ich durch den, der mir die Kraft dazu gibt.» Für seine Fussballkünste nimmt Neymar, was er kriegen kann. Seine hundertprozentige Nähe zu Jesus sieht der in den Armenvierteln von São Paulo aufgewachsene Fussballer dadurch nicht gefährdet. Apostel Paulus persönlich liefert ihm das Alibi.