Nach grossen Siegen bindet sich Neymar gerne ein Stirnband um: «100 Prozent Jesus». Der Brasilianer gehört zur frommen Fussballfraktion seines Landes. Gesten zum Himmel gehören zum Jubelrepertoire und Demutsbezeugungen zum Erfolg.
Auch als er am Wochenende den Rasen im Pariser Prinzenpark betrat, bekreuzigte sich der teuerste Fussballer aller Zeiten. Der für 222 Millionen Euro aus Barcelona losgeeiste Ballzauberer spielte beim Heimsieg seines neuen Vereins zwar noch nicht, aber gefeiert wurde der ultimative Star des Starensembles von Paris St. Germain trotzdem.
Der Scheich und der Christ. Die Debatte über die absurd hohe Summe, die der von Ölmilliarden geflutete Verein aus der französischen Hauptstadt für die Verpflichtung eines neuen Mitarbeiters aufgeworfen hat, füllte in den letzten Tagen das Sommerloch. Und dass sich der fromme Brasilianer vom Geld aus dem schwerreichen Zwergstaat Katar in die Stadt des Lichts locken liess, ist ja durchaus eine Ironie der Geschichte.
Paris St. Germain wird seit sechs Jahren von Katar kontrolliert, das seine sprudelnden Milliarden mit Vorliebe in den Sport investiert. Vereinspräsident Nasser al-Khelaïfi hat einen direkten Draht zum Scheich Tamim bin Hamad Al Thani und dessen Konto. Das erlaubt ihm, bisherige finanzielle Schallmauern zu druchbrechen.
Die Schnapszahl. Der FC Barcelona hatte vor drei Jahren seinerseits für den Stürmer Luis Suarez irrwitzige 83 Millionen nach Liverpool überwiesen. Und Handgelder, welche die Vertragsverlängerungen der Stars vergolden, gehören längst zum Geschäft.
Dass die Katalanen vor einem Jahr bei der Vertragsverlängerung mit Neymar eine Schnapszahl in den Vertrag schrieben, deutet darauf hin, dass die Ablöseumme als Sperrklausel gemeint war. Aber spätestens seit in England selbst mittelmässige Verteidiger für 40 Millionen den Club wechseln und chinesische Vereine für einen Stürmer wie Anthony Modeste, der im französischen Nationalteam keinen Platz findet, satte 35 Millionen nach Köln transferieren, ist die Skala nach oben offen.
Das Geld kommt zurück. Die schwindelerregenden Summen kann man mit einem turbokapitalismuserprobten Schulterzucken zur Kenntnis nehmen. Schliesslich spielt die globale Vermarktungsmaschine das Transfergeld wahrscheinlich sogar wieder ein. Und wenn Neymar dann in der Champions League zum ersten Mal auf seine alten Kumpels aus Barcelona trifft, werden nur sehr wenige der hartgesottenen Fussballfans, die sich jetzt empören, wirklich wegschauen.
Trotzdem sagt der gesunde Menschenverstand, dass etwas kaputt geht, wenn derart viel Geld in den Fussballmarkt gepumpt wird. Als erstes in Brüche gehen die Relationen. 86 Millionen für Neymar von Santos zu Barcelona sind extrem viel, 222 Millionen von Barcelona nach Paris sind mega extrem viel und 300 Millionen von Paris nach England oder China wären dann einfach auch mega extrem viel. Werden Rekorde inflationär, verlieren sie ihren Reiz. Man hört einfach auf zu zählen.
Die Macht des Mammon. Einer der intelligenteren Bedenkenträger des Fussballs ist Christian Streich. Der Trainer arbeitet beim SC Freiburg seit vielen Jahren mit relativ bescheidenem Budget. Zugleich kann sich der klassische Ausbildungsverein gerade deshalb in der höchsten deutschen Spielklasse halten, weil er seine Spieler immer wieder für Millionenbeträge weiter verkaufen kann. Wenn im Wettbieten Qualität relativ wird, umso besser für das Geschäftsmodell.
Streich spricht an seinen Medienterminen nicht nur über Spielsysteme und Gegner, sondern äussert sich auch einmal zur Flüchtlingsfrage oder ermuntert seine Spieler, wählen zu gehen. Zum Neymar-Transfer wollte er zuerst nichts sagen. Er schwang sich dann aber doch noch zur moralischen Instanz auf. «Der Gott des Geldes verschlingt alles», warnte er (siehe Video unten). Und er erinnerte daran, dass in allen Religionen nicht umsonst davor gewarnt wird, dass sich der Mensch dem Mammon unterwirft.
Wie der Apostel. Der bibelfeste Fussballer, um den sich die neu entflammte Debatte um Geld und Moral hauptsächlich dreht, ahnt natürlich, dass Glaube und Geldgier schlecht zusammengehen. So betont er gerne, dass er seinem Herzen und nicht den Milliarden des Scheichs nach Paris folge, wo er übrigens 82'000 Euro pro Tag verdienen wird, steuerfrei versteht sich. Und überhaupt tritt der 25-Jährige mitten im Trubel auf wie ein Junge, der einfach Fussball spielen will. Und das durchaus glaubwürdig.
Dennoch weiss er haargenau, was er tut. Präventiv stellte Neymar kurz vor dem Vollzug des Rekordtransfers einen vorerst rätselhaften Post ins Netz: «Ich sage das nicht, weil mir etwas fehlt; ich habe nämlich gelernt, in allen Lagen unabhängig zu sein». Neymar zitierte Philipper 4,11.
Neymar gegen Streich 1:0. Wer den Kontext liest, erkennt, dass der in den Armenvierteln von São Paulo aufgewachsene Millionenstürmer die richtige Bibelstelle erwischt hat. Apostel Paulus schreibt nämlich weiter: «Ich kann bescheiden leben, ich kann aber auch im Überfluss leben; in alles und jedes bin ich eingeweiht; satt zu werden und Hunger zu leiden, Überfluss zu haben und Mangel zu leiden. Alles vermag ich durch den, der mir die Kraft dazu gibt.»
Für seine Fussballkünste nimmt Neymar, was er kriegen kann. Sein Glaube bleibt ganz offensichtlich unverkäuflich.