Recherche 10. Juli 2018, von Sandra Hohendahl-Tesch

Lieber in der Natur als in der Kirche

Kasualien

Am Fluss, inmitten von Tieren auf einem Bauernhof oder auf einem Schloss: Warum kirchliche Trauungen ausserhalb der Kirche derzeit en vogue sind.

In der Schweiz heiraten jährlich rund 40 000 Paare. Nur jedes fünfte tut dies jedoch in einem kirchlichen Rahmen. Die Zahlen für die Reformierten lassen sich bis 1960 zurückverfolgen: Wurden damals hierzulande noch mehr als 16 000 Paare kirchlich getraut, waren es 2016 nur noch rund 3500, davon 659 im Kanton Zürich.

Das Paar im Mittelpunkt

Trotz historischem Tiefstand zeichnet sich aktuell ein neuer Trend ab. Viele Paare wünschen sich zwar ­einen kirchlichen Segen, aber nicht traditionell in der Kirche. Sie bevorzugen alternativ einen Ort, mit dem sie sich spirituell verbunden fühlen – sei es am Wasser oder auf einem Berg. Für die Kirche liegt darin ein grosses Potenzial, auch Kirchenferne zu erreichen. Die revidierte Kirchenordnung soll dem Rechnung tragen (siehe Kasten).

Kirchenrat Andrea Marco Bianca setzt sich an vorderster Frontfür das Anliegen ein. Als Pfarrer in Küsnacht gestaltet er zahlreiche Trauungen ausserhalb der Kirche, «weit mehr als die Hälfte». Für ihn stehen die Brautleute und ihre persönlichen Wünsche im Zentrum. In mehrstündigen Gesprächen greifter vorweg Themen wie Glauben und Werte auf und leitet daraus ein individuell auf das Paar zugeschnittenes Trauversprechen ab.

«Biblisch gesehen ist eine Gebundenheit ans Gebäude verfehlt», erklärt Bianca. Jüngst war er für eine Trauung im Park einer herrschaftlichen Villa im italienischen Stresa, die heute als exklusive Hochzeitslocation gebucht wird. Entscheidend ist für ihn ein «authentischer Bezug zu den christlichen Werten» – in welcher Form dabei von Gott oder einer höheren Macht die Rede ist, hängt vom Paar ab. Extravaganz und Exotik müssen indes der Spiritualität dienen: «Auf ­einem Lovemobil würde ich eher keine Trauung durchführen», so Bianca. Zudem trägt er stets einen Talar, was ihn schon rein äusserlich vom Ritualbegleiter unterscheidet.

Der Küsnachter Pfarrer führte Marcia und Christian Tanner am Rheinufer im thurgaui­schen Diessenhofen in die Ehe. «Wir haben die Trauung intensiv erlebt und gespürt», sagt der Bräutigam. Auf die «Hülle» des Gebäudes haben er und seine Frau als «passive Kirchenmitglieder» verzichtet, um dem «inneren Erleben» mehr Raum zu geben.

Inbegriff der Romantik

Es gibt aber auch Kirchen, in denen noch rege geheiratet wird. ­Eine steht im malerischen Städtchen Greifensee. Die reformierte Pfarrerin Barbara Rickenbacher bestätigt: «Für die Paare, die hier heiraten, spielt Tradition eine wichtige Rolle.» Der Segen vor Gott ist ihnen wichtigund die Kirche der Ort, wo die Gegenwart Gottes am besten spürbar ist. Für viele sei diese Form zudem der Inbegriff von Romantik.

Anders als Andrea Bianca erhält Barbara Rickenbacher nur wenige Anfragen für ­Trauungen ausserhalb der Kirche. Diesen ist die Pfarrerin allerdings keineswegs abgeneigt. Die Gründe der Paare müssen für sie einfach «plausibel» sein. Als besonderes ­Erlebnis bleibt ihr die Trauung auf einem Bauernhof in Erinnerung. Der Wunsch von Braut und Bräutigam war es, sich «inmitten von vielen Tieren» das Ja-Wort zu geben. «Solchen Begehren sollte die Kirche auf keinen Fall im Wegstehen.»

Heiraten neu geregelt

Pfarrpersonen sollen künftig auf Wunsch des Brautpaares die Feier aneinem anderen Ort durchführenkönnen und nicht mehr wie bisher grundsätzlich in der Kirche. Dies sieht die revidierte Kirchenordnung vor, die Anfang April in der Synode beraten wurde und über die das reformierte Stimmvolk am 23. September abstimmen wird. Auch Taufen können neu in begründeten Fällen ausserhalb des Gemeindegottesdienstes stattfinden.