Das Büro von Liljana Luani an einer der Hauptachsen von Shkodra in Nordalbanien hat Symbolcharakter. Das Häuschen mit Glasfront, drei Tischen und einem Computer mitten in einer Ladenzeile macht sichtbar, was gemäss den Angaben der Polizei in Albanien kaum noch existiert: Familien, die aus Angst vor einer Blutrache jahrelang isoliert in ihren Häusern leben.
Denn im knapp zwölf Quadratmeter grossen Raum unterrichtet die 61-Jährige täglich 65 Kinder aus 40 Familien, die fast alle in einer Blutrache-Situation verharren. Die meisten unterrichtet sie zusammen mit fünf anderen Freiwilligen per Zoom, manche besucht sie bei ihnen daheim, und seit einiger Zeit kommen immer mehr für den Unterricht in das kleine Lokal.
Das preisgekrönte Friedensprojekt
Auf diese Tatsache ist Luani besonders stolz: Manchen verfehdeten Familien konnte sie das Versprechen abringen, dass den Kindern nichts geschieht, wenn sie zur Schule gehen. Ein Bildungsprojekt, das sie 2005 aus Betroffenheit allein lancierte, ist zum Friedensförderungsprojekt geworden, für das sie 2019 in Dubai den Global Teacher Prize erhielt.
Luani unterrichtete viele Jahre lang an der Vashko-Vaso-Schule in Shkodra, einer Schule mit vielen Kindern vom Land. 2005 fragten die Rotkreuz-Organisationen von Albanien und Spanien sie an, ob sie mithelfe, Kinder zu identifizieren, die nicht zur Schule gehen. Luani, die aus einem kleinen Bergdorf stammt, sagte zu. Sie erzählt: «Wir besuchten Familien, von denen die meisten zu arm waren, ihre Kinder zur Schule zu schicken.»
Der weinende Junge
Eines Tages traf die Lehrerin einen Jungen, den sie aus dem Schulhaus kannte, aber lange nicht gesehen hatte. «Ich fragte ihn, warum er nicht zur Schule gehe. Er antwortete mit Tränen in den Augen: ‹Wir leben in Blutrache.›» In diesem Moment habe sie ihm spontan versprochen, ihn daheim zu unterrichten. «Er berührte mein Herz.»