Es dürfte schwierig sein, von Gijn Marku ein Foto zu finden, auf dem er ohne Anzug und Krawatte zu sehen ist. Eine ordentliche Bekleidung ist für den Mann, dessen Name den meisten Albanerinnen und Albanern ein Begriff ist, ein Zeichen der Wertschätzung des Gegenübers. Und Respekt spielt in seiner Arbeit eine elementare Rolle.
Der 66-Jährige gründete 1990 das Komiteti i Pajtimit Mbarëkombëtar, das nationale Versöhnungskomitee. Die Organisation wollte nach dem Zusammenbruch des Kommunismus verhindern, dass während des Kommunismus abgestrafte Familien sich an kommunistisch gesinnten Familien rächten. Dazu setzte das Komitee Mediatoren ein, die auf Basis des im Kanun festgehaltenen Gewohnheitsrechts zwischen den Familien vermittelten. Bald jedoch schlichteten die Versöhnungsmissionare auch in anderen Konflikten, denn die Bevölkerung verübte nach dem Zusammenbruch des Regimes von Diktator Enver Hoxha, in dem auf Blutrache die Todesstrafe stand, wieder vermehrt Vergeltungsmorde.
Büro neben dem Justizpalast
Auch 42 Jahre nach seiner Gründung ist das Komitee, dessen Leiter Gijn Marku noch immer ist, gefragt: 3500 freiwillige Mediatoren wirken in Albanien und in den albanischen Gemeinschaften in Kosovo und Mazedonien in Familienfehden und verhindern zahlreiche Blutrachemorde. Allein im Jahr 2021 vermochten sie in Zusammenarbeit mit lokalen Respektspersonen 54 Familien zu versöhnen.
Passenderweise befindet sich das kleine, flaschengrün gestrichene Büro von Gijn Marku keine 50 Meter vom Justizpalast in Tirana entfernt. Er sagt: «In schwierigen Konflikten mit der Familie oder Nachbarn wenden sich viele Albaner lieber an die traditionelle Gerichtsbarkeit als an die staatliche Justiz. Letztere zeigte bisher zu wenige gute Beispiele, als dass man ihr vertrauen könnte.»