Schwerpunkt 07. September 2017, von Gottfried Locher

Gibt es die Hölle?

Theologie

Die Hölle gibt es, schreibt Kirchenbundspräsident Gottfried Locher. Sie ist der Irrweg, der zur menschlichen Freiheit gehört. Doch für Jesus ist sie Nebensache.

Die Hölle gibt es. Unter drei Bedingungen. Erstens: Die Hölle ist eine Glaubenswirklichkeit, nicht Gegenstand der Naturwissenschaft. Es gibt die Hölle nicht, wie es Orte, Länder oder Kontinente gibt. Wir sprechen zwar geographisch, meinen das aber im übertragenen Sinn. Die Hölle ist kein Ort in der Welt, hier gibt es sie nicht. Oder doch? Die Hölle auf Erden gibt es schon, leider. Immer neu, irgendwo gerade jetzt. Sie ist schrecklich real, aber Abbild einer anderen Wirklichkeit, einer ebenso schrecklichen, aber nicht greifbaren. Das – und nur das – haben Himmel und Hölle gemeinsam: Auf Erden sind sie nur ein Abbild ihrer selbst. Ihre Wirklichkeit ist grösser.

Die zweite Bedingung: Die Hölle ist ein Jesuswort, nicht eine Erfindung der Theologie. «Es ist besser für dich, eines deiner Glieder geht verloren, als dass dein ganzer Leib zur Hölle fährt» (Mt 5,29), sagt Jesus in der Bergpredigt. Leben und Glauben gehören für ihn untrennbar zu­sammen. Was wir hier und jetzt leiblich tun, wirkt über unser Leben hinaus. Gott nimmt die Menschen ernst, im Guten und im Schlechten, sagt Jesus. Wer im Schlechten verharrt, wer das Böse sucht und tut, beharrlich und bis zum Tod, der findet keinen Weg zu Gott.

Ein Irrweg ohne Ende. Aber: Die Hölle bleibt Nebensache. Jesus verkündigt den Himmel. Wer «den Willen meines Vaters» tut, der «wird ins Himmelreich hineinkommen» (Mt 7,21). Im Mittelpunkt des Evangeliums steht das Heil der Menschen, das ewige Leben, das Gottesreich, nicht die Hölle. Das ändert freilich nichts an ihrer schrecklichen Wirklichkeit. Beide Perspektiven bleiben, der Himmel als die endgültige Heimat, die Hölle als der endlose Irrweg. Dass niemand auf diesen Irrweg gerät, dafür hat Jesus gelebt und dafür ist er gestorben.

Die dritte Bedingung lautet: Die Hölle ist selbstgemacht, nicht fremdbestimmt. Niemand wird von einem gnadenlosen Gott ins ewige Abseits gestellt. Im Gegenteil, alle Menschen sind zum Heil be­stimmt. Alle Menschen können ihr Leben als Heimweg zu Gott gestalten.

Doch können ist nicht müssen. Jeder und jede darf sich so oder anders entscheiden. Wir sind frei in der irdischen Routenwahl, frei, so oder so zu handeln, gut oder schlecht. Man könnte sagen: Die Hölle ist eine unverzichtbare Bedingung der Freiheit nicht nur zum Guten, sondern auch zum Bösen.

Keine Moralkeule. Die Hölle ist selbstgemacht, kein gnadenloser Gott stülpt sie uns über, wir landen aus eigener Kraft in ihr. Sie ist der Ort, wohin wir in letzter Konsequenz gelangen, wenn wir unsere Freiheit konsequent zum Schlechten missbrauchen. Niemand muss diesen Weg gehen. Wer ihn trotzdem geht, der gelangt an einen Ort, für den er sich selber entschieden und den er selber eingerichtet hat. Wer hier ankommt, kreist allein und für immer in seiner eigenen Verzweiflung.

Selbstgemacht, von Jesus als Nebensache erwähnt, als unfassbare Wirklichkeit beim Namen genannt: So und nur so gibt es die Hölle. Als Moralkeule eignet sie sich schon gar nicht. Wer seine Moralvorstellungen mit angeblichen Höllenstrafen durchsetzen will, spielt Gott und landet gleich selber auf dem Irrweg.

Das Böse ist Realität. Kein Wunder, dass die Höllendarstellungen an Münstern und Kathedralen so höllisch spannend sind. Hier gibt es alles zu sehen, was unmoralisch ist – in den Augen der Menschen. Vielleicht urteilt Gott ganz anders. Überhaupt ist er ein gnädiger, liebender Gott. Dass er Menschen auf ewig verloren gibt, ist schwer vorstellbar.

Aber wollen wir wirklich die zerstörerische Kraft des Bösen leugnen? Dazu müssten wir den Kopf tief in den Sand stecken. Eher ist es doch so, «dass es auch einen wirklichen Teufel samt seinem Heer und eine wirkliche Hölle gibt» (Karl Barth). Das Böse ist real. Es hat einen Ort, der ist zugleich sein Ursprungs- und sein Zielort. Und dafür hat die Theologie ein Wort: Hölle. Gibt es einen anschaulicheren Ausdruck, um die­se verstörende Wirklichkeit zu beschreiben?

Gottfried Locher (50)

Seit 2011 ist Gottfried Locher Kirchenbunds­präsident. Zudem präsidiert er den Rat der Religionen sowie die Gemeinschaft Evange­li­scher Kirchen in Europa. Zuvor leitete Locher das Institut für Öku­menische Studien in Frei­burg und war Pfarrer an der Schweizer Kirche in London.