Schwerpunkt 07. September 2017, von Matthias Zeindler

Kommen alle Menschen in den Himmel?

Theologie

Gott kann alle Menschen in den Himmel aufnehmen, sagt Theologieprofessor Matthias Zeindler. Aber ohne Gericht geht es nicht.

Wenn alle Menschen vor den Richterstuhl Gottes treten – werden danach alle in die Gemeinschaft mit Gott eingehen, also in den «Himmel» kommen? Die Ant­wort scheint klar zu sein: Nein, alle werden nicht zur Gemeinschaft mit Gott erlöst. Es gibt welche, die während ihres Lebens fern von Gott gelebt haben, die gegen seinen Willen verstossen haben, und diese werden auch die Ewigkeit fern von ihm, in der «Hölle» verbringen.

Das biblische Gleichnis vom Weltgericht spricht da eine deutliche Sprache. Jesus wird die Menschen aufteilen wie der Hirte seine Tiere: die Schafe zu seiner Rechten, die Ziegen zu seiner Linken. Zu denen auf der rechten Seite wird er sagen: «Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, empfangt als Erbe das Reich, das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an» (Mt 25,34). Und zu denen auf seiner Linken wird der König sagen: «Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist für den Teufel und seine Engel» (Mt 25,40).

Gott will alle. Das Bild vom Weltengericht ist freilich nicht die einzige Aussage der Bibel zum Ausgang des letzten Gerichts. So schreibt Paulus: «Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Einsicht der Wahrheit gelangen» (1. Tim 2,4). Und in seinem Brief an die christliche Gemeinde in Rom kommt der Apostel zum Schluss, dass Gott sein Volk erlösen wird, obwohl es vom Glauben abgefallen ist. Weiter schreibt er in seinem Brief: «Wie es also durch die Übertretung eines einzigen für alle Menschen zur Verurteilung kam (Adam), so wird es auch durch die gerechte Tat eines einzigen für alle Menschen zur Gerechtsprechung kommen, die Leben gibt» (Röm 5,18). Gott will also, dass alle Menschen am Ende in die Gemeinschaft mit ihm eingehen. Jene, die an ihn geglaubt und ihn geliebt haben. Und jene, die ihr Leben ohne ihn zugebracht haben.

Das bedeutet aber: Es werden nicht nur die in den Himmel aufgenommen, die sich um den Willen Gottes und das Wohl ihrer Mitmenschen bemüht haben. Sondern auch jene, die sich nur um sich selbst gekümmert haben, Verbrecher vielleicht, sogar Diktatoren. Wird Gott auch Hitler, Stalin, Pol Pot und Mao erlösen? Hier sträubt sich etwas in uns. So kann die Bibel es doch nicht gemeint haben.

Und so hat es die Bibel auch nicht gemeint. Ins Reich Gottes kommen zwar Opfer und Täter, Gute und Böse, weil sie alle Teil seiner Schöpfung ist. Und Gott in seiner Liebe keinen Teil dieser Schöpfung endgültig aufgibt. Aber es wird niemand in sein Reich eingehen, ohne sich im Jüngsten Gericht für sein Leben verantwortet zu haben. Hier werden alle mit Gottes Liebe konfrontiert, jenem Mass­stab, der ihr Leben hätte leiten sol­len. Alle werden realisieren, wie sehr sie vor diesem Massstab versagt haben, wie sie andere Menschen und sich selbst missbraucht und sich an der Schöpfung vergangen haben.

Nicht ohne Gericht. Alle werden in die­ser Konfrontation Schmerz erleben. Jene, die kleines Leid verschuldet haben, kleinen Schmerz. Und jene, die unendliches Leid verursacht haben, werden «höllischen» Schmerz erfahren darüber, wie sie hätten leben können und wie sie faktisch gelebt haben. Sie müssen sich ihren Opfern stellen und werden sie um Vergebung bitten. Aus der Konfrontation der Opfer mit ihren Tätern, der Gefolterten mit den Folterern, wird erst jene neue Gemeinschaft vor Gott entstehen, die wir den «Himmel» nennen.

Deshalb kann es ohne Gericht keinen Himmel geben. Weil nur durch das Gericht der Friede und die Gerechtigkeit von Gottes Herrschaft werden kann. Aber es gilt auch: Durch das Gericht hindurch kann Gott alle in den Himmel aufnehmen. So entsteht der «neue Himmel» und die «neue Erde», die erneuerte Schöpfung Gottes (Offb 21,1).

Matthias Zeindler (58)

Der Leiter des Bereichs Theologie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn ist Titularprofessor für Systematische Theologie an der Universität Bern. Sein Buch : Gott der Richter. Zu einem unverzichtbaren Aspekt christlichen Glaubens (TVZ 2005).