Schwerpunkt 28. Juli 2021, von Thomas Illi

«Ich glaube, ich stehe auf der richtigen Seite»

Am Gericht

Im Mordfall Rupperswil hat Barbara Loppacher die Anklage vertreten. Für die Staatsanwältin muss die öffentliche Sicherheit Priorität haben in der Strafverfolgung.

Sie ist Doktorin der Rechtswissenschaft, hat als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Zürich gearbeitet, war Obergerichtsschreiberin und hat seit fast 20 Jahren das Anwaltspatent. Loppacher könnte auch eine akademische Laufbahn einschlagen oder als Wirtschaftsanwältin viel Geld verdienen. Doch ihre Rolle in der Juristerei sieht sie praktisch seit ihrem Studium als Strafverfolgerin. 2008 wurde die gebürtige Ostschweizerin Staatsanwältin im Aargau, seit fast zehn Jahren leitet sie die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau.

Nachdem am 21. Dezember 2015 in Rupperswil eine vierköpfige Familie brutal ermordet aufgefunden worden war, arbeitete sie bis Mitte Januar praktisch durch. Keine Weihnachten, kein Silvester, keine Feiern mit Freunden. Bereits nach fünf Monaten konnte sie bekannt geben, dass der Mörder gefasst ist. Später, vor Gericht, forderte die Sozialdemokratin die lebenslängliche Verwahrung des Täters, obschon eine so harte Massnahme noch nie vor Bundesgericht Bestand hatte.

Das Wagnis der Anklage

Den prompt laut gewordenen Vorwurf des Populismus kontert Loppacher im Gespräch, zu dem sie im Verhörzimmer empfängt, gelassen: «Wenn ein Täter nicht fassbar ist, auch durch die Gutachten nicht, ist für mich klar, dass er eine Gefahr darstellt.» Da sei es ihre Aufgabe, sich für die Sicherheit der Bevöl­kerung einzusetzen. «Auch einmal mit einer Maximalforderung.» Die 47-Jährige würde in der gleichen Situation wieder so handeln.

Natürlich sei auch die Suche der materiellen Wahrheit eine wichtige Aufgabe einer Staatsanwältin, sagt Barbara Loppacher. Also der Ein­bezug entlastender Fakten, der Maxime der Unschuldsvermutung folgend. «Würden wir das nicht tun, würde uns das spätestens die Verteidigung um die Ohren hauen.»

Verabschieden müsse man sich hingegen von der Vorstellung, dass «wir immer herausfinden, wie es genau war, gerade bei den Vier-Augen-Delikten wie häuslicher Gewalt oder im Sexualbereich». Steht es 50 zu 50, sei eine Anklage zwingend. «Ein Freispruch kann für einen Beschuldigten sogar mehr wert sein als eine Verfahrenseinstellung.»

Mit Niederlagen vor Gericht hat die Staatsanwältin kein Problem: «Wenn ich das Gefühl habe, da muss doch ein Schuldspruch resultieren, das Gericht aber anderer Meinung ist, ziehe ich den Fall weiter.»

Am liebsten an der Front

Scheidungsanwältin oder gar Strafverteidigerin zu sein, könnte sich Loppacher eher nicht vorstellen. «Als Staatsanwältin habe ich das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen.» Auch das viele Geld, das auf einer Wirtschaftskanzlei zu verdienen wäre, lockt sie nicht: «So viel Geld kann man mir gar nicht bezahlen, dass ich jedes Wochenende durcharbeiten würde.»

Einen kleinen Rollenwechsel hat Barbara Loppacher 2018 vollzogen. Nicht weg vom Strafrecht, aber hin zum Gericht. Sie wurde als nebenamtliche Richterin der Berufungskammer am Bundesstrafgericht in Bellinzona gewählt. Ein 15-Prozent-Nebenjob zum 100-Prozent-Pensum in Lenzburg. «Ich liebe die Arbeit an der Front, am Fall. Aber ob ich das als Staatsanwältin oder als Richterin mache, da möchte ich mich nicht festlegen.»