Himmlische Lust und höllische Pein

Jenseits

Ob Erlösung, Höllenqualen oder Wiedergeburt: Alle Religionen suchen Antworten auf die Frage, was nach dem Tod wohl kommt. Die Antworten darauf bleiben immer spekulativ.

Die Frage, ob es ein Jenseits, ein Leben nach dem Tod überhaupt gibt, scheint die Menschen in der zunehmend säkularen westlichen Welt kaum noch zu beschäftigen. Verblasst ist die Angst vor einem strafenden Gott, dem Jüngsten Gericht oder einer Reinigung im Fegefeuer.

Und nicht mehr nachvollziehbar die Angst des ersten Kaisers von China, Qin Shihuangdi, der 210 v. Chr. starb und sich in seinem Mausoleum von einer beeindruckenden Armee aus lebensgros­sen Terrakotta-Soldaten beschützen liess.

Helles Licht beim Sterben

Die moderne Sterbeforschung zeigt auf, dass die letzte Zeiteinheit des menschlichen Lebens von rauschhaften, ekstatischen Zuständen begleitet wird. Kurz vor dem Tod findet im Gehirn eine wahre Explosion an Reizen statt. Übereinstimmend erzählen Menschen mit einem Nahtoderlebnis von hellem Licht und von lieben Wesen, die sie erwarten, von Göttern und Ahnen.

Wie Leibniz als Denker ins Jenseits vordrang

Die Vorstellung einer Existenz im Jenseits bedingt den Glauben, dass die Seele nach dem Tod weiterlebt. Letz­teres wurde bereits vom griechischen Philosophen Plato (427–347 v. Chr.) postuliert, für den der Körper bloss ein Gefängnis der unsterblichen Seele war, das den wahren Blick auf die Wirk­­lichkeit verstelle. Die Idee der un­sterblichen Seele vertrat auch der deut­­sche Universalgelehrte und Aufklärungs­philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716); er leite­te sie aus seiner Monadenlehre ab.

Leibniz dachte sich die Welt als ein fein abgestimmtes System von Monaden, von unteilbaren und unzerstör­baren Elementen beziehungsweise Krafteinheiten. In diesem Denkmodell gibt es niedere Monaden, die in der unbewussten Materie existieren, und höhere Monaden, die im mensch­lichen Bewusstsein sowie den feinstofflichen und geistigen Dimensionen beheimatet sind.

In jeder aufsteigenden Stufe der Hierarchie findet sich ein höheres Bewusstsein und gesteigertes Wahr­nehmungsvermögen. Aber jeder monadische Körper, egal ob einem Stein, einer Pflanze oder einer Seele zugehörig, ist auf seine Art ein in sich geschlossener und stimmiger Spiegel des Universums.

Die Zentralmonade ist Gott, aus der alle anderen Monaden hervorge­gangen sind. Nur Gott kann eine Monade erschaffen oder zerstören. Leibniz folgerte: Weil auch die seelische Substanz Teil dieses unverän­derbaren Weltgefüges ist, muss die Seele unsterblich sein. Da sich die Welt nur als eine Vielheit von Wesen denken lasse, die sich gegenseitig bedingten, aber auch einschränkten, sei diese Welt nicht vollkommen – aber doch von allen möglichen Welten die denkbar beste. heb

Nur 10 bis 20 Prozent der Befragten berichteten gemäss Untersuchungen von einem regelrechten Höllentrip. Die Visionen und Lichterscheinungen gäben vielen Menschen Grund zur Zuversicht, was den Sterbeprozess betreffe, sagt der Zürcher Theologe Ralph Kunz als Mitautor eines Forschungsprojekts. «Trotzdem sagen sie nichts über das Jenseits aus, lediglich über den Weg dahin.»

Frieden in allen Religionen

Seit Jahrtausenden denken Juden, Muslime, Christen, Hindus und Bud­dhisten über den Tod nach und über das, was darauf folgt. Es gibt Vorstellungen eines Endgerichts, karmische Prozesse, Himmel, Hölle, Nirwana und die Auferstehung. Viele Motive finden sich in unterschied­lichen religiösen Traditionen: die Trennung von Leib und Seele durch den Tod, die Wiedergeburt oder unermessliche Glückseligkeit im jenseitigen Paradies.

Der Theologe Ralph Kunz sieht in Geschichten wie der vom Garten Eden mythische Themen. «Die Vorstellung des verlorenen Paradieses, das wir nach dem Tod wieder erreichen können, steht für eine universelle Hoffnung», erklärt er. Sie sei Erinnerung und Utopie zugleich. «Das Hoffnungsbild einer Schöpfung, die Frieden, Schalom, Salam oder Shanti gefunden hat.»

Glauben ist nicht Wissen

Für alle Religionen gleichermassen gilt, dass sich niemand auf gesichertes Wissen stützen kann. Alle sprechen von dem, was sich vorstellen, und nicht von dem, was sich beweisen lässt. Und das ist letztlich auch der Kern des biblischen Glaubens. Denn Glauben ist weder Wissen noch Vermutung. «Sondern Gottvertrauen», bringt es Kunz auf den Punkt.

Gott ist für Christinnen und Christen ein Gegenüber, von dem wir her­kommen, zu dem wir zurückgehen und in dem wir schon jetzt durch Christus einverleibt sind.
Ralph Kunz, Theologe

In der christlichen Tradition sei entscheidend, dass der Mensch sich als Geschöpf eines Schöpfers erkenne. «Gott ist für Christinnen und Christen ein Gegenüber, von dem wir her­kommen, zu dem wir zurückgehen und in dem wir schon jetzt durch Christus einverleibt sind.» Diese Tat­­sache präge auch die Vorstellung des Jenseits.

Obwohl das Christentum im Judentum wurzelt, konzentriert sich der jüdische Glaube viel mehr auf das diesseitige Leben als auf das Leben nach dem Tod. «Typischerweise bleibt das rabbinische Judentum sehr vage in Bezug auf das, was auf den Tod folgt», sagt René Bloch, Professor für Judaistik an der Universität Bern. Zwar gehe man von einer Wiederbelebung der Toten aus, und Gott werde in Gebeten als «Beleber der Toten» gepriesen. Aber wer genau wiederbelebt werde, dazu habe das Judentum keine definitiven Antworten ausformuliert.

Mehr dem Leben zugewandt

Wichtiger als Jenseitsvorstellungen sind Feste und Rituale. So wird die Totenwache bis zum Begräbnis auch heute noch praktiziert. Der Körper des Verstorbenen wird rituell gewaschen, in ein schlichtes weisses Gewand gekleidet und in einen ein­fachen Sarg gelegt, zusammen mit et­was Erde aus Israel.

«Wenn Sie eine empirische Studie unter Jüdinnen und Juden in der Schweiz machen würden, würde die Mehrheit wohl antworten, dass die Frage nach dem Jenseits nicht besonders relevant ist», meint Bloch. Für viele bedeute Judentum nicht Glaube, sondern Volks­identität, Verbundenheit mit jüdischer Geschichte, Kultur und mit dem Staat Israel.

Die Vorstellungen von Paradies und Hölle stehen sinnbildlich für das höchste Glück oder eben die grösste Beklemmung.
Amir Dziri, Islamwissenschaftler und Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft

Im Gegensatz hierzu spielt im Islam der Jenseitsglaube eine wichtige Rolle. Auch wenn nicht so klar zu beantworten sei, was nach dem Tod kommt, würden doch zahl­rei­che intensive Sprachbilder genutzt, sagt der Islamwissenschaftler Amir Dziri. Beispielsweise beim Sterbeprozess, wo vier Engel die Seele an allen vier Gliedmassen aus dem Kör­per herausziehen. «Dies ist gewissermassen die Umkehrung zum Lebensanfang, wo Gott selbst  – oder mit­ der Hilfe eines Engels – die Seele in den Fötus einhaucht.»

Jenseitsglaube ist im Islam wichtig

Vom Körper befreit, werden die Verstorbenen von Todesengeln zum Paradies geführt. Diese befragen sie nach ihrem Lebenswandel und wollen wissen, ob sie an Gott und Mohammed geglaubt haben. «Die Befragung durch die Engel ver­deutlicht, dass das hiesige und das jenseitige Leben eng aufeinander bezogen sind», führt der Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft aus.

Mächtige Sprachbilder werden auch für die Beschreibung von Paradies und Hölle genutzt. Von Speisen im Überfluss und betörenden Partnerinnen und Partnern wird etwa berichtet. Andererseits von siedendem Trinkwasser und unerträglicher Hitze. «Diese Vorstellungen stehen sinnbildlich für das höchste Glück oder eben die grösste Beklemmung», meint Dziri.

Ziel ist es, zu verlöschen

Der Buddhismus kennt den Tod nur als Übergangsstadium von einem Zustand in einen anderen. «Buddhis­ten betrachten das Leben als Abfolge von Wiedergeburten», sagt Karénina Koll­mar-Paulenz, die über den Buddhismus forscht. Ziel sei es, in jedem neuen Leben in Taten und Ge­danken gutes Karma aufzubauen, um so ein besseres Wesen zu werden. «Einzig auf diesem Weg ist es möglich, den Kreislauf der Existenz zu verlassen und ohne Ichbewusstsein im Nirwana zu verlöschen.»

Bis dahin kann der Weg aber lang und qualvoll sein. So gebe es zum Beispiel überaus lebendige Höllendarstellungen, führt die Buddhis­mus­kennerin aus. Bildergeschichten, die arme Seelen zeigen, die in einem Topf mit siedendem Wasser sitzen oder lebendig zerstückelt werden.

Im Unterschied aber zu Höllenvorstellungen anderer Religionen haben diese Qualen ein Ende, wenn das schlechte Karma aufgebraucht ist. Die Praktizierenden im Buddhismus hätten beliebig viele Leben zur Verfügung, um zur Vollkommenheit zu gelangen, sagt Kollmar-Paulenz.