«Ja. Alles, was wir tun, fühlen und denken, ist die Folge neuronaler Aktivität. Wenn unser Gehirn nicht mehr aktivist, sind auch unsere psychologischen Funktionen und unser Bewusstsein verschwunden. Den Verlust des Selbst kann man auslösen, indem man bestimmte Hirnregionen deaktiviert oder elektrisch beeinflusst. Das Selbst, oder die Seele, ist daher eher eine Begleiterscheinung des Gehirns. Allerdings kann das Bewusstsein nicht direkt auf das physikalisch agierende Gehirn mit seinen neuronalen Netzwerken einwirken. Es gibt kein vom Gehirn unabhängiges Bewusstsein oder Selbst.
Dabei muss man bedenken, dass zirka neunzig Prozent der neuronalen Aktivität ohne bewusste Konsequenzen sind. Deshalb gibt es keinen freien Willen, der unser Handeln steuert, denn zum grössten Teil wird es durch unbewusstbleibende Prozesse gesteuert. Aus diesem Grund bin ich, entgegen mancher religiösen Anschauung, überzeugt, dass es keine Seele gibt. Für mich ist die Seele etwas Ähnliches wie das Selbst, der Geist und die Psyche.
Geistesverwandtschaft. Der Dalai Lama, ein Anhänger der modernen Wissenschaften, wurde mal gefragt, wie er den Glauben an Wiedergeburt mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen über das menschliche Selbst zusammenbringt. Er antwortete, dass er nicht an eine Seele glaube, die den Körper verlässt und in einem anderen Einzug findet. Es sind eher die Begabungen, die Welt zu interpretieren und Wissen einzusortieren, eine «Seelenverwandtschaft», die dazu führt, dass verschiedene Menschen die Welt ähnlich interpretieren. Eine wichtige Leistung in diesem Zusammenhang ist das Vermögen, andere glücklich zu machen. Ich sehe es ähnlich.
Ich bin überzeugt, dass auch Tiere über eine Art Bewusstsein verfügen. Experimente zeigten, dass Tierarten, etwa Krähen und Affen, über eine Selbstwahrnehmung verfügen und sich damit von anderen der eigenen Spezies unterscheiden können. Diesbezüglich gehe ich davon aus, dass der Mensch im Tierreich keine Sonderstellung einnimmt.»