Sie möchte schöner sein, sein wie die anderen, wie sie sein, zufrieden damit sein, sich zu sein.
Sie sitzt im Bus, ist umgeben von Menschen, sie scheinen sie anzustarren und sich weiss was über sie zu denken. Sie liest und träumt sich in eine andere Welt, sie sitzt nicht mehr im Bus Richtung Bahnhof, ihre Gedanken drehen sich nicht mehr um diesen einen Punkt: sie selbst und wie sie auf andere wirkt.
Ihr Handy vibriert, und der Bildschirm leuchtet auf. Er zeigt das endlos glückliche, kleine Mädchen, das sie einmal war, breit lächelnd auf dem Arm ihrer Grossmutter. Ihre Hände nähern sich dem inzwischen wieder dunklen, rechteckigen Ding, sie zittern. Sie möchte nicht versagen. Versagen – das ist ihre grösste Angst, das Handy fallen lassen und die Aufmerksamkeit noch mehr auf sich lenken.
Dieses verdammte Parfum
Der Bus hält, sie ist am Bahnhof angelangt, heute trägt sie Parfum. Das Parfum, das sie sich mit ihrem eigenen Geld gekauft hat, sie mag es und das, was sie trägt, sie steigt aus, ihre Schultern gebogen, und sie mag es nicht mehr, das Parfum und ihre Kleidung. Sie sieht um sich, lauter wunderschöne Gestalten, doch sie, sie ist nicht wunderschön, hätte sie sich doch bloss nicht so angezogen und bloss nicht dieses verdammte Parfum aufgelegt.
Sie steuert auf die Treppe zu, die Treppe zur Unterführung. Sie läuft unter den Gleisen durch und beeilt sich, ihre Schritte verschnellern sich. Sie steigt eine weitere Treppe hinauf, in der Spiegelung des Lifts sieht sie sich, und so schlimm sieht sie ja gar nicht aus, fast schon mag sie sich. Doch auf dem Perron angelangt, fühlt sie wieder Blicke auf sich, sie denkt wieder und wieder, was andere wohl von ihr denken, schaut zu Boden und versucht, sich so klein und unsichtbar wie möglich zu machen.
Dieses blöde Parfum zieht hoffentlich keine Wolke hinter sich her und sieht sie in diesen Hosen nicht unförmig aus? Sieht man ihre O-Beine und hätte sie nicht besser ihre Haare doch hochgesteckt?
Das eiserne Geräusch eines heranfahrenden Zuges dröhnt in ihren Ohren, sie mag es nicht, sie mag es nicht, wenn ein Zug hinter ihr durchfährt. Sie steigt in den Zug, den sie fast jeden Tag nimmt. Sie liest wieder in ihren wunderschönen Romanen. Mädchen, die perfekt scheinen, Mädchen, die es sind, und solche, die es werden.
Sie bricht in Tränen aus. Fragen, so viele. Was sie in ihrem Leben schon erreicht hat? Nichts. Warum sie so ist? Keine Antwort. Was sie an sich hässlich findet? Vieles. Ob sie eine Enttäuschung ist? Eine riesige. Die Dunkelheit scheint sie zu überrollen. Alles ist ausser Ordnung, vor allem sie selbst.
Plötzlich hat sie Angst vor dem Tod ihrer Grosseltern, und das vermischt sich mit ihrer Enttäuschung über die schlechte Note und dem Wunsch, plötzlich wieder klein zu sein, als die Welt noch ganz in Ordnung schien, ihr Bildschirmhintergrund als Beweis dafür. Ein riesiges dunkelgraues Gemisch aus Selbstmitleid und Angst überrollt sie.
Sie weint und jede Träne tut gut, sie rollen über ihre Wangen. Durchsichtige Tropfen vereinzelt, manchmal in Strömen. Sie scheinen geradezu aus ihrem Herzen zu kommen und nun ihr Gesicht, das Gesicht, mit dem sie nie zufrieden war, zu übergiessen, den Dreck des Tages wegzuschwemmen. Sie schreibt in ihr Tagebuch, die Tränen platschen auf die Seiten, sie wellen sich und mit jedem Wort und jeder vergossenen Träne fühlt sie sich besser.