«Denn du bist es, der meine Nieren geschaffen, der mich im Leib meiner Mutter gewoben hat.» Sich den Schöpfergott am Webstuhl vorzustellen ist ein schönes Bild. Als Kind liebte ich die Webrahmen aus dem Spielzeugladen, die in eine Kartonschachtel passten. Auf denen konnte man bunte Miniteppiche aus Strickwolle machen, für richtige Stoffe waren sie zu simpel. Die Faszination, aus ein paar Fäden etwas ganz Neues zu erschaffen, war trotzdem riesig.
Im übernächsten Vers des Psalms (139, 15) erkennt man, dass der Autor vielleicht eher eine Weberin, eine Urgöttin Erde vor Augen hatte: «Mein Gebein war dir nicht verborgen, als ich im Dunkeln gemacht wurde, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde», heisst es da. Auch dieses Bild gefällt mir. Heute wissen wir im Gegensatz zu den biblischen Menschen viel darüber, was in den neun Monaten im Mutterbauch geschieht.
Ob Weberin oder Weber, ob Erdgöttin oder Jahwe: Was mich am biblischen Bild besonders berührt, ist, wie gut es zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen passt. Beim Wachsen und Reifen des Fötus wird ständig gewoben, verwoben und vernetzt. Man kann sich Gott am Webstuhl ausmalen oder die Tiefen der Mutter Erde ergründen oder wissenschaftliche Bücher mit wunderschönen Fotos zur pränatalen Entwicklung anschauen. Staunen angesichts des Wunders Leben kann man so oder so. Und danken dafür auch. Zum Beispiel mit dem Vers, der zwischen dem webenden Gott und der im Erdentief wirkenden Göttin steht (139, 14): «Ich preise dich, dass ich so herrlich, so wunderbar geschaffen bin; wunderbar sind deine Werke, meine Seele weiss dies wohl.»