Gesellschaft 24. September 2024, von Vera Rüttimann/kirchenbote.ch

Pilgern für Religionsfreiheit: Am Ziel bei der UNO in Genf

Gesellschaft

Mit einer Pilgerreise setzte die Imamin Seyran Ateş ein Zeichen für Religionsfreiheit und Frieden. Die UNO gab der Gruppe aber keine Möglichkeit, ihre Petition abzugeben.

Sie pilgerten bei Nebel, Hitze und Regen. Am letzten Tag wandert die Gruppe von Bossey nach Genf. Es ist die Abschlussetappe eines bemerkenswerten Projekts im Zeichen der Religionsfreiheit und des Friedens. Vor dem UNO-Gebäude liegen sich alle in den Armen. Auch Anita Vögtlin ist dabei. Die Basler Kirchenrätin hat den dreiwöchigen Pilgerweg mitorganisiert.

Jetzt wollen sie das unterwegs entstandene Buch mit der Petition für Religionsfreiheit vor dem UNO-Gebäude abgeben. Wochenlang haben die Pilger versucht, bei der UNO einen Termin zu erhalten. Doch die Gruppe steht vor verschlossenen Türen. Auch das Gruppenfoto mit dem Buch unter dem UNO-Emblem lässt der Sicherheitsdienst nicht zu.

Das Foto entsteht schliesslich vor einem hohen Zaun unweit der UNO. «Ein symbolisches Bild zum Abschluss dieser Reise», sagt die feministische Muslimin Seyran Ateş, die die interreligiöse Pilgerreise initiiert hat. Die Petition soll nun per Post an die UNO geschickt werden. Ein Exemplar geht nach Basel. Dorthin, wo diese Reise begonnen hat.

Beim Pilgern muss ich mich nicht nur gegenüber anderen Menschen öffnen, sondern auch auf andere Religionen einlassen.
Eva Oppiz

Die Pilgerinnen und Pilger ziehen alle ein positives Fazit. In der Gruppe sei ein guter, verbindender Geist entstanden, sagt Eva Oppiz aus Reinau: «Beim Pilgern muss ich mich nicht nur gegenüber anderen Menschen öffnen, sondern auch auf andere Religionen einlassen. Das verbindet uns.» 

Hazel lebt als queere Muslimin in New York. Für das Pilgern mit Seyran Ateş ist sie extra in die Schweiz geflogen. Sie will den Weg mit ihr gehen, weil sie bewundert, was sie mit ihren Aktionen bewirkt. «Ich fühle mich mit ihr seelenverwandt. Was sie für die Frauen tut, verändert die Welt», ist sie überzeugt.

Das Thema hat viele bewegt

In den letzten drei Wochen sind 150 Menschen mitgewandert. Das Interesse war gross. Seyran Ateş wundert das nicht: «In ganz Europa wird viel über das Thema geredet, aber selten in einem solchen Rahmen», sagt sie. Deshalb habe sie auch das Interesse der Schweizerinnen und Schweizer nicht überrascht. Die Gespräche während der Pilgerreise hätten das bestätigt. Es habe unglaublich viel Gesprächsbedarf gegeben.

Pilgern für die Religionsfreiheit

Die muslimische Menschenrechtsaktivistin Seyran Ateş, der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert, Kirchenrätin Anita Vögtlin und Pfarrer Johannes Weimann wollten in der Schweiz ein Zeichen für Religionsfreiheit und Frieden setzen. Sie pilgerten im September auf dem Jakobsweg von Basel nach Genf und hofften, dass sich ihnen weitere Menschen anschliessen. 

Die Route führte von der Stadt am Rhein über Welschenrohr, Solothurn, Bern, Fribourg und Lausanne nach Genf, wo eine Petition für Religionsfreiheit an die UNO übergeben werden sollte. Das klappte nicht wie geplant (siehe Text).

Alle Daten und Informationen zur Pilgeroute gibt es auf der Website der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt.

Die Pilgerinnen und Pilger erlebten viele eindrückliche Momente. Seyran Ateş zeigt sich beeindruckt vom Besuch bei den orthodoxen Mönchen im Kloster Beinwil: «Dieses Essen, die Gastfreundschaft und dieser Garten. Ein paradiesischer Ort.» Auch Bischof Felix Gmür hat bei ihr einen bleibenden Eindruck hinterlassen. «Er war ganz bei uns. Wunderbar!» Anita Vögtlin freut sich besonders, dass neben anderen zwei jüdische Brüder aus einer liberalen jüdischen Gemeinde und ein Muslim mitmarschiert sind.

Seyran Ateş hätte sich allerdings gewünscht, dass mehr liberale Muslime mitgelaufen wären. «Dass es so wenige waren, spiegelt die Realität wider. Genau deshalb bin ich diesen Weg gegangen, damit mehr liberale Muslime sichtbar werden», betont sie.  Ähnlich sieht es der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert. Für liberale Musliminnen und Muslime sei es in verschiedenen Situationen lebensgefährlich, ihren Glauben zu leben. Es schmerzt ihn, dass die Vertreter der muslimischen Gemeinschaft dem Empfang der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn ferngeblieben sind.

In diesen Tagen wurden viele kleine Samen gesät, die hoffentlich Früchte tragen werden.
Anita Vögtlin

Während der Pilgerreise wurden weitere Pläne geschmiedet. Lukas Kundert resümiert: «Diese Reise hat mir gezeigt, dass es in der Schweiz Menschen gibt, die sich für dieses Thema interessieren, und dass es eine Chance gibt, einen Treffpunkt für liberale Muslime und ihre Freunde zu schaffen.» Dies sei der erste Schritt, den er zusammen mit Seyran Ateş angehen wolle. Im Herbst 2025 soll die Begegnungsstätte stehen.

In einem zweiten Schritt soll eine Art «muslimisches Bossey» entstehen. Die Pilgerinnen und Pilger hätten Bossey als einen Ort des respektvollen Austauschs zwischen reformierten, protestantischen und orthodoxen Christen kennengelernt. «Ein solcher Ort muss auch für Muslime geschaffen werden. Er soll dazu beitragen, dass auch konservative Muslime beginnen, liberale Muslime zu respektieren», betont Lukas Kundert. In einem nächsten Schritt soll ein interreligiöses Kloster entstehen.

Die Reise geht weiter

Mit vielen neuen Gedanken und Einsichten verlassen die Pilgerinnen und Pilger Genf. Anita Vögtlin: «In diesen Tagen wurden viele kleine Samen gesät, die hoffentlich Früchte tragen werden.» Auch Seyran Ateş ist zufrieden: «Diese Reise hat alle meine Erwartungen erfüllt. Sie hat gezeigt, wo die Baustellen sind. «Es ist dringend notwendig, dass die politischen Parteien die Stärkung der liberalen Kräfte im Islam auf ihre Agenda setzen», zieht Lukas Kundert Bilanz.