Recherche 09. September 2021, von Nadja Ehrbar, Cornelia Krause

Grosse Gottesdienste nur noch mit Covid-Zertifikat möglich

Corona-Massnahmen

Ab Montag müssen die Kirchen ein Zertifikat für Gottesdienste ab 50 Personen verlangen. Für Ethiker Frank Mathwig ist das eine «plausible Lösung», die aber Fragen aufwerfe.

Nun also doch: Weil die Intensivstationen der Schweizer Spitäler am Anschlag sind, erweitert der Bundesrat die Einsatzbereiche für das Covid-Zertifikat. Ein Grossteil der öffentlichen Veranstaltungen kann ab dem kommenden Montag nur noch besuchen, wer geimpft, getestet oder genesen ist. 

Die sogenannte 3G-Regelung für Menschen ab 16 Jahren gilt auch für kirchliche Events, allerdings mit Ausnahmen: An Gottesdiensten und religiösen Veranstaltungen wird das Zertifikat erst ab 50 Teilnehmenden Pflicht. Ohne Zertifikat gilt es, Abstand zu halten und Maske zu tragen. 

Der Bundesrat zieht die Schrauben damit auch bei den Kirchen stärker an, denn religiöse Veranstaltungen waren im Ampelsystem, das der Bund mit dem Covid-Zertifikat ursprünglich einführte, dem grünen Bereich zugeordnet.

Wir sind gewillt, unseren Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten.
EKS und Schweizer Bischofskonferenz in einer Mitteilung

Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) und die Schweizer Bischofskonferenz SBK unterstützen das Vorgehen, wie sie in einer gemeinsamen Medienmitteilung schreiben. Die aktuellen Entwicklungen betrachteten die Landeskirchen mit Sorge, heisst es darin. Sie seien gewillt, ihren Beitrag zur Eindämmung weiterhin zu leisten und sich in ihren Reihen für wirkungsvolle Schutzmassnahmen einzusetzen.

Akt der Solidarität

In einem Rundmail schreibt der Zürcher Kirchenrat an seine Mitarbeitenden, in der Bevölkerung müsse die Einsicht wachsen, dass es die Anstrengungen aller braucht, um die Pandemie möglichst rasch zu bewältigen. Mit Blick auf die Überbelastung der Spitäler bezeichnet er den Besitz eines Zertifikats als einen Akt der Solidarität. «Diese Solidarität darf auch von den Kirchen erwartet werden.» 

Im Vorfeld gab es jedoch durchaus Diskussionen. Der Bundesrat hatte die Obergrenze für religiöse Veranstaltungen bei 30 Personen festlegen wollen. Dass die Grenze schliesslich bei 50 gezogen wurde, führen die Kirchen auf ihre Intervention zurück. Mit Blick auf Abdankungen üben sie gar Kritik: Diese sollten generell von der Zertifikatserfordernis ausgenommen werden. Auch in Zukunft wollen sich EKS und SBK dafür stark machen. 

Zutritt zu Gotteshäusern nötig

EKS-Ethiker Frank Mathwig hält die Einführung der Zertifikatspflicht mit Blick auf die derzeitige Lage und im Herbst drohende steigende Fallzahlen als eine «gut begründete und plausible Lösung.» Allerdings wirft sie Anschlussfragen auf. Mit Blick auf die Religionsfreiheit dürfe niemand am Zutritt zu einem Gotteshaus gehindert werden, sagt er. Andererseits könne der Ausschluss von nicht-zertifizierten Personen mit der Verantwortung für den Schutz und die Solidarität mit der Gesellschaft begründet werden. «Diese Grundsätze muss man benennen und auch einräumen, dass sie sich stossen können.»

Es darf nicht sein, dass normale Bürgerinnen und Bürger Polizeiaufgaben übernehmen.
Frank Mathwig, EKS-Ethiker

Mathwig betont auch, dass es möglich sein muss, sterbende Angehörige und Freunde zu begleiten und würdevoll zu verabschieden. Klärungsbedarf sieht er zudem bei der Umsetzung – und zwar nicht nur mit Blick auf kirchliche Veranstaltungen, sondern ganz allgemein. Konkret geht es um die Frage, wer die Zertifikate kontrolliert und wie mit Menschen umgegangen wird, die sich der Kontrolle verweigerten, aber dennoch Einlass forderten. «Es darf nicht sein, dass normale Bürgerinnen und Bürger Polizeiaufgaben übernehmen.» 

Die grosse Herausforderung bestehe darin, die Zertifikatspflicht im liberalen Staat durchzusetzen. «Für die liberale Gesellschaft ist der freie gesellschaftliche Konsens über diese Massnahmen unverzichtbar.» Die EKS-Task Force will den Kirchen in Kürze eine Handreichung zum Umgang mit dem Impfzertifikat zur Verfügung stellen.

Kirche Wetzikon ist vorbereitet

In Wetzikon hat sich Kirchenpflegepräsident Samuel Steiner bereits Gedanken dazu gemacht, wie die Gemeinde die strikteren Massnahmen umsetzen könnte. Meist würden am Sonntag nicht viel mehr als 50 Personen in die Kirche kommen, sagt er. Da sie die Gottesdienste seit einiger Zeit online übertragen würden, «bleiben viele ältere Leute mittlerweile zuhause.» 

Die Gemeinde geht davon aus, dass für die Gottesdienste in der Regel deshalb kein Zertifikat notwendig sein wird. Gottesdienstbesucher müssen sich vorgängig aber über die Kirchen-Website anmelden. Die Kirchenpflege überlegt sich zudem, etwa den ökumenischen Bettags-Gottesdienst, an dem mehr Besucher erwartet werden, in die katholische Kirche zu übertragen. Und sollten es doch einmal mehr Personen werden, würden der Sigrist und ein Kirchenpflegemitglied die Zertifikatskontrolle mittels App übernehmen. 

Es ist wichtig, dass wir niemanden von etwas ausschliessen.
Samuel Steiner, Kirchenpflegepräsident Wetzikon

Von einer Zertifikatspflicht ausgenommen bleiben Aktivitäten in Innenräumen, bei denen maximal 30 Leute in immer der gleichen Zusammensetzung anwesend sind. Der Raum darf dann aber höchstens zu zwei Dritteln besetzt sein. Davon betroffen ist in Wetzikon beispielsweise das Eltern-Kind-Singen. «Wir überlegen uns deshalb, den Anlass auf maximal acht Elternteile und acht Kinder zu beschränken», sagt Steiner. So viele nutzen das Angebot aktuell. Wichtig ist dem Kirchenpflegepräsidenten jedenfalls, «dass wir niemanden von etwas ausschliessen».