Recherche 15. Oktober 2021, von Nadja Ehrbar

«Kein Recht, andere anzustecken»

Pandemie

Kirchenratspräsident Michel Müller sagt, warum sich durch Zertifikate niemand ausgegrenzt fühlen sollte.

Seit der Einführung der Zertifikatspflicht sind die Fronten zwischen Impfgegnern und -befürwortern verhärtet. Was kann die Kirche tun, damit sich niemand ausgeschlossen fühlt? 

Michel Müller: Was nicht weiterhilft, sind Fundamentalpositionen, egal welcher Art. Regeln gab es schon immer. Deshalb waren Gottesdienste auch schon früher nicht uneingeschränkt zugänglich. Etwa, weil es feuerpolizeiliche Vorschriften einzuhalten galt. Und nun haben wir ein Zertifikat, das dazu dient, die Ansteckungszahl möglichst gering zu halten. Zahlreiche Kirchgemeinden kommen auch deshalb damit klar, weil sie zum normalen Sonntagsgottesdienst sowieso nicht mehr als 50 Menschen erwarten.  

Michel Müller, 57

Michel Müller, 57

Seit 2011 ist Michel Müller Kirchenratspräsident der reformierten Kirche des Kantons Zürich. Zuvor war er Pfarrer in Thalwil und Mitglied der Synode, des Kirchenparlaments der Landeskirche. Dort gehörte er der Fraktion Synodalverein an.

Und trotzdem gibt es Menschen, die sagen: «Ich kann jetzt nicht mehr in die Kirche.»  

Wenn sie das auf den Sonntagsgottesdienst in der Kirche beziehen, die 500 Meter von ihrem Wohnort entfernt liegt, dann trifft das vielleicht zu. Doch es gibt Onlineübertragungen oder bestimmt irgendwo Gottesdienste, die auf 50 Personen beschränkt sind. Und es gibt die Möglichkeit, mit einem Test ein Zertifikat zu lösen. Wer sich den Test nicht leisten kann, darf seine Kirchgemeinde um Hilfe bitten.

Was tun bei Menschen, die sich weder impfen noch testen lassen, den Gottesdienst aber besuchen wollen? 

Ich kann Ängste und Befürchtungen beim Impfen verstehen. Doch wenn jemand grundsätzlich gegen das Beschneiden seiner Freiheiten ist, dann wird es schwierig für alle. Ein solches säkulares Freiheitsdenken finde ich nirgends in der Bibel. Es gibt kein Recht, andere anstecken zu dürfen und sich dann noch diskriminiert zu fühlen. Deshalb ist die 50er-Regel ein Kompromiss, der die Freiheitsansprüche ausgleicht.

Bei Beerdigungen sollte die 3G-Regel nicht gelten.

Ist es auch richtig, diese Regel bei Beerdigungen anzuwenden? 

Meiner Meinung nach sollte sie in diesem Fall nicht gelten. Aber nicht aus religiösen Gründen. Beerdigungen sind kein religiöses, sondern ein allgemeines Menschenrecht.