Schwerpunkt 27. September 2017, von Delf Bucher

Den Parkplatz findet das Auto auch allein

Robotik

Noch begegnet die Mehrheit dem autonomen Fahren mit Skepsis. Der Robotikexperte an der ETH hat gute Argumente für das computergesteuerte Auto.

Am Anfang fährt die Angst mit. Als inSingapur im letzten Jahr erstmals öffentlich zugängliche führerlose E-Taxis leise durch die Strassen surrten, waren die Passagiere nervös, prüften anfangs jede Aktion des autonomen Vehikels, ob es auch sicher durch die Häuserschluchten der südostasiatischen Metropole navigierte. Doch nach wenigen hundert Metern checkten die Fahrgäste schon entspannt Nachrichten auf dem Handy oder versenkten sich in eine Zeitung.

ETH-Professor Roland Siegwart ist überzeugt, dass das beklemmende Gefühl, sich einem Roboterauto anzuvertrauen, mit der konkreten Erfahrung sehr schnell schwindet. Ohne Praxistest ist aber die Akzeptanz gering wie die «reformiert.»-Umfrage zeigt. Ganz entschieden sagen 37 Prozent kategorisch Nein, 25 Prozent wollen «eher nicht» in einem führerlosen Taxi durch die Stadt fahren.

Der Mensch als Risiko. Für Schweizerinnen und Schweizer wird das Thema laut Siegwart erst in zehn bis zwanzig Jahren aktuell. Indes nehmen in der Vision des Leiters des Labors für autonome Systeme an der ETH Zürich führerlose Selbstlenk-Taxis schon Kontur an. Der Robotik-Experte sieht ihren Einsatz vor allem auf den letzten Meilen zwischen Bahnhof und Haustüre.

Falls sein Szenario – eine Kombination von öffentlichem Verkehr und selbstgesteuerten Fahrzeugen für die Feinverteilung – Wirklichkeit würde, könnte das autonome Fahren viele Probleme auf einen Schlag lösen. Es sorgte für eine bessere CO2-Bilanz, für weniger Lärm und für weniger Ressourcenverbrauch. Denn wenn das Carsharing salonfähig würde, müssten weniger Autos produziert werden.

Ein weiterer Faktor kommt entscheidend hinzu: die wesentlich grössere Sicherheit. Das grösste Sicherheitsproblem sei der Mensch selbst. «Mehr als neunzig Prozent aller Autounfälle gehen auf menschliches Versagen zurück.» Und die Fühler und Augen des Autos, die Kameras und Sensoren, fallen nie in einen Sekundenschlaf, sind nie abgelenkt.

Auch die Städteplaner könnten sich freuen. Denn ein vernetztes Roboterauto wäre ein Fahrzeug und nicht ein «Stehzeug», das 23 Stunden am Tag einen Parkplatz beansprucht. Zudem wüssten die computergesteuerten Autos, wo ein Parkplatz frei ist. «Es gibt Studien, die bis zu vierzig Prozent des Mobilitätsaufkommens auf den Parksuchverkehr zurückführen. Unterm Strich bedeuten weniger Parksuchverkehr und Parkraum mehr Platz für Parks und Begegnungszonen.»

Am Central überfordert. Siegwart ist überzeugt, dass sich die Mobilitätswende in Etappen vollzieht. An einer Etappe arbeitet er derzeit mit seinen Institutsmitarbeitern. Schon fahren die an der ETH für Volkswagen entwickelten Versuchsfahrzeuge führerlos ins Parkhaus. Die Idee dahinter erklärt Siegwart: «Damit der Übergang zwischen öffentlichem Verkehr und Auto nicht mit langem Suchen nach Parkplätzen unattraktiv wird, soll das Auto möglichst nah ans Perron fahren können». Die letzte Strecke zum Parking legt das Vehikel ohne Fahrer zurück und wenn es ein Elektroauto ist, fährt es automatisch zur Ladesäule.

In strukturierte Umgebungen wie Parkhäuser und Autobahnen fährt das digitalisierte Hightech-Auto bereits heute problemlos. Schwieriger sei es für die selbstlenkenden Vehikel, unübersichtliche Verkehrssituationen wie beispielsweise in Zürich auf der Kreuzung am Central zu erfassen. Das Gewimmel von Fussgängern, Trams, Bussen und Autos kann das autonom gesteuerte Gefährt bisher wesentlich schlechter analysieren als ein Mensch am Steuer. Deswegen schätzt Siegwart, dass sich das Roboterauto im grossen Stil erst in fünfzehn bis zwanzig Jahren durchsetzen wird. Vor allem die Übergangsphase werde schwierig. Dann halten autonom gesteuerte Wagen brav Tempo und Abstand ein, während die menschlichen Lenker es mit den Regeln nicht so genau nehmen.

Nicht ohne Lokführer. Wesentlich rascher werden Sensoren und Kameras bei Schienenfahrzeugen zum Einsatz kommen. Auf den Verbindungslinien von Flughäfen sind selbstgesteuerte Bahnen bereits heute Standard. Und digitale Tech­nik wird bald auch vermehrt in Fernzügen eingebaut. Such die Infrastruktur soll vom Fortschritt profitieren. So diskutiert Siegwarts Institut bereits mit den SBB neue Konzepte, um den Unterhalt der Neat-Röhre zu automatisieren, damit mehr Personen- und Güterzüge passieren können.

Wenn auf Schienen autonom gefahren wird, ist die Akzeptanz der Bevölkerung weit grösser. 59 Prozent der für die «reformiert.»-Studie befragten Personen würden auch ohne einen Lokführer im Zug von Zürich nach Lugano reisen.

Siegwart betont aber: Lokführer würden wie Piloten, die trotz automatisierten Abläufen immer noch im Cockpit sitzen, kaum wegrationalisiert. «Im Gegensatzzu Taxis, wo die Fahrer einen hohen Kostenfaktor ausmachen, fällt bei ausgelasteten Zügen der Lohn der Lokführer nicht ins Gewicht.» Dafür könne er unvorhergesehene Situation viel besser bewältigen als ein Computer.