Schwerpunkt 27. September 2017, von Stefan Schneiter

«Noch haben wir das Ruder in der Hand»

Robotik

Der Theologe und Robotikexperte Peter G. Kirchschläger sagt, warum Maschinen eine moralische Software brauchen, und warnt vor sozialer Ungleichheit.

Robotik, Digitalisierung und künstliche Intelligenz verändern Gesellschaft und Wirtschaft. Rütteln sie auch an der Theologie?

Peter G. Kirchschläger: Gott ist Schöpfer.Der Mensch und die gesamte Schöpfung sind im Verhältnis zu Gott zu sehen. Aber der technologiebasierte Wandel zwingt uns, unser Verhältnis zur Schöpfung zu überdenken. Wo sind da die Maschinen einzuordnen?

Hat die Menschheit im Vergleich mit den Maschinen das Nachsehen? Ist sie bedroht?

So dramatisch sehe ich das nicht. Aber wir müssen uns viel systematischer mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass Roboter in mehreren, wenn nicht gar den meisten Intelligenzbereichen, uns in absehbarer Zeit übertreffen können.

Inwiefern sind christliche Werte bedroht?

Der Mensch ist geschaffen als Ebenbild Gottes. Daraus lässt sich eine Menschenwürde für alle Menschen ableiten und auch begründen. Diese scheint mir mit dem Fortschritt künstlicher Intelligenz gefährdet. Wir können nicht davon ausgehen, dass selbstlernende Maschinen den Menschen nicht schaden, dass sie Menschenrechte achten oder die Würde aller Menschen hochhalten. Wenn wir nichts unternehmen, werden sich dieMaschinen die Menschen zunutze machen oder nicht einmal mehr beachten.

Gewisse Menschen werden also überflüssig, aus Sicht der Maschinen?

Es ist nicht auszuschliessen, dass Menschen für Maschinen nicht mehr relevant und damit vernachlässigbar werden.

Wie ist ein solches Szenario zu verhindern?

Inmitten der grossen Technologiebegeisterung fehlt eine strukturierte, sorgfältige Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, die sich aus diesem technologiebasierten Wandel ergeben. Die Menschen haben zurzeit noch das Ruder in der Hand. Die Verantwortung liegt bei uns, rechtliche und ethische Normen nicht nur zu setzen, sondern auch umzusetzen. Und zwar jetzt. Bevor wir mit Intelligenzformen konfrontiert sind, die wir nichtmehr in den Griff bekommen.

Können Maschinen auch moralisch handeln?

Maschinen können zwar programmierte moralische Regeln befolgen. Von sich aus werden sie sich selbst aber nie allgemein gültige moralische Prinzipien setzen.

Wäre das von selbstlernenden Maschinen nicht zu erwarten?

Nein, denn dazu fehlt ihnen die Freiheit, die für Moralfähigkeit Voraussetzung ist. Letztlich sind es immer Menschen, die Maschinen programmieren. Und da sehe ich auch eine Chance für Schutzmechanismen, indem der Mensch den Maschinen Prinzipien, zu denen auch moralische Grundsätze gehören, mitgeben kann, die einen Rahmen vorgeben.

In welchen Bereichen bringt künstliche Intelligenz den grösstmöglichen Nutzen?

Roboter nehmen bereits heute gewisse Eingriffe viel schneller und präziser vor als Chirurgen. So erhalten Ärzte mehr Zeit für zwischenmenschliche Aspekte mit ihren Patienten. RoboterbasierteAssistenz hilft älteren Menschen odersolchen mit Behinderungen, unabhängiger und selbstbestimmter zu leben. Im Rechtsbereich analysieren Anwaltsroboter in kurzer Zeit eine Unzahl von Fällen für einen Gerichtsentscheid. Dazu wären grosse Teams von Anwälten nicht fähig. Auch Finanzmärkte funktionieren nur dank immenser Kapazitäten seitens intelligenter Systeme, die Datenmengen in grosser Fülle zu verarbeiten vermögen.

Und welche ethischen Probleme ergeben sich daraus?

Es fehlt noch eine intensive Reflexion über Folgen und Bedeutung dieser Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Wie ist mit Ungerechtigkeiten umzugehen? Bereits heute profitiert nur eine Minderheit der Menschheit vom technologiebasierten Fortschritt. Der Grossteil arbeitet weltweit unter menschenunwürdigen Zuständen, um diese Entwicklung überhaupt zu ermöglichen.

Sie fürchten also, dass die soziale Ungleichheit zunimmt mit der Digitalisierung?

Ja, die Schere zwischen arm und reich wird weiter auseinanderklaffen. Die Kernkonsequenz der digitalen Transformation umfasst, dass weniger Menschen an einer effizienteren und effektiveren Wertschöpfungskette teilnehmen und teilhaben. Nicht jeder wird sich zukünftig menschliche Dienstleistungen noch leisten können. Zwar wird es in Zukunft auch Spitäler mit menschlichen Angestellten geben. Aber in einer Preisklasse, die sich nur noch wenige leisten können.

Was geschieht mit all den Menschen, die durch Maschinen ihre Arbeit verlieren?

Wir definieren uns heute primär über einen bezahlten Arbeitsplatz. Wenn immer mehr Menschen ihre Stelle verlieren, weil sie von Maschinen ersetzt werden, entsteht ein Vakuum, das es zu füllen gilt. Wir sollten ein neues Selbstverständnis entfalten – und zwar eines unabhängig vom bezahlten Arbeitsplatz.

Welche Schritte sind nötig?

Wir brauchen einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel. Man könnte ja auch sagen, es wäre eigentlich eine positive Nachricht, mehr Zeit für wichtige Aufgaben wie Klimaschutz, die Bekämpfung von Ungerechtigkeit oder die Verbesserung des Verhältnisses zwischen den Generationen zu haben.

Ich würde ein System vorschlagen, das eine menschenwürdige Existenz durch den Staat garantiert und dafür von den Bürgerinnen und Bürgern einen Beitrag zur Gesellschaft erwartet – ähnlich wie der Schweizer Zivildienst. In welchem Bereich sie das tun, bleibt frei wählbar. Im Dienste der Innovationsförderung werden Forschung und Unternehmertum von diesem Beitrag aber befreit.

Sie plädieren für ein garantiertes Grundeinkommen, wie es das Volk abgelehnt hat?

Mir geht dieses Konzept zu wenig weit. Bezahlte Arbeit hat heute für viele Menschen nicht nur eine existenzsichernde, sondern auch eine sinnstiftende Funktion. Genau hier können Kirchen und religiöse Gemeinschaften aktiv werden. Sie haben die Kompetenz, den Menschen auf diesem Weg zu begleiten.

Und wie?

Sie könnten sich stärker in die Diskussionen um die Gestaltung der Gesellschaft und unseres Wirtschaftssystems im Zuge der digitalen Transformation einbringen, sich für Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit engagieren.

Peter G. Kirchschläger, 40

Der Professor für Theologische Ethik an der Universität Luzern forscht zu Unternehmens- und Wirtschaftsethik, zu Digitalisierung und Robotisierung der Gesellschaft und Wirtschaft, sowie zum Einsatz von künstlicher Intelligenz aus ethischer Perspektive.

2015-2017 Forschungsmitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern und Visiting Fellow an der Yale University (USA).