Ein Mythos wird zum politischen Schlagwort

Christliches Abendland

In der Flüchtlings- und Migrationsdebatte inszenieren sich rechte Politiker gerne als Ritter und Retter des Abendlands.

Das «christliche Abendland» ist zu ­einem politischen Kampfbegriff geworden. Er soll signalisieren: Hier gilt es, eine geistige und kulturelle Heimat zu verteidigen; gegen die zuwandernden Menschenmuslimischen Glaubens, gegen den «mor­genländischen» Islam.

In der jüngeren Schweizer Vergangenheit war es der Rechtspolitiker James Schwarzenbach, der die Identitätsfrage erstmals mit einem Schlagwort bewirtschaftete: Er focht gegen die «Überfremdung». Seine Volksinitiative hatte 1970 die italienischen Gastarbeiter im Visier. Diese galten als kulturell andersartig undschlecht integrierbar, gehörten aber doch zur christlichen Sphäre.

Heute stehen muslimische Einwanderer im Brennpunkt. Ihr Fremdsein definiert sich unter anderem über eine frem­de Religion. Damit weitete sich vorab in konservativen bis rechtspopulistischen Krei­sen Europas die kulturelle Kampfzone fast mythisch aus: Die Rede ist nun vom «christlichen Abendland», das es zu bewahren gelte.

Dieser Begriff taucht im politischen Diskurs in unterschiedlichen Abwandlungen und Temperierungen auf. Die SVP bekennt sich in ihren Positionen zur «christlich-abendländischen Kultur der Schweiz», und die bayrische CSU fordert «Vorrang für Zuwanderer aus unserem christlich-abendländischen Kulturkreis».

Die Dresdener Pegida-Bewegung und die Partei «Alternative für Deutschland» sehen sich ebenso als Verteidiger des christlichen Abendlands wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Und Front-National-Chefin Marine LePen sag­te 2014 über den russischen Präsidenten Wladimir Putin: «Er ist ein echter Patriot. Mit ihm können wir die christliche Zivilisation retten.»